Zitronenmelisse, Labiatae.
Name:
Melíssa officinális L. (= M. graveolens Host, = Thymus Melissa E. H. L. Krause). Melisse, Zitronenmelisse, Zitronelle, Herzkraut. Französisch: Melisse, citronelle, citronnade, herbe du citron, piment des abeilles; englisch: Balm; italienisch: Appiastro, cedronella, citraggine, erba cedrata; dänisch: Hjertensfryd; litauisch: Melisa; polnisch: Melisa, Rojownik; russisch: Melissa; schwedisch: Citronenmeliss; tschechisch: Meduňka lékařská, včelnik; ungarisch: Citromfü.
Verbreitungsgebiet
Im westl. Mittelmeergebiet eingebürgert. Im übrigen Europa, sowie neuerdings in Nordamerika, kultiviert.
Namensursprung:
Das griechische μλισσα (mélissa) bezeichnet zunächst die Honigbiene, aber auch schon im Altertum die Melisse und andere aromatische, viel von Bienen besuchte Labiaten. Auch der lateinischen Benennung „apiástrum“ liegt das Wort apis = Biene zugrunde. Der deutsche Name Zitronenkraut und die französischen Bezeichnungen der Pflanze beziehen sich auf den zitronenähnlichen Geschmack.
Botanisches:
Die aus dem Orient stammende Bienenfutter-, Heil- und Gewürzpflanze mit süßlichem Zitronengeruch wird heute vielerorts angebaut. Das ausdauernde, mit kurzen Bodenausläufern versehene Kraut wird 30-80 cm hoch. Die stengelständigen Laubblätter sind eiförmig bis rhombisch. Die bläulichweißen Lippenblüten sind zu blattachselständigen Cymen angeordnet. Die Melisse ist eine wärmebedürftige Pflanze und in Deutschland sehr frostempfindlich. In Südeuropa bevorzugt sie noch feuchte, schattige, nördlich der Alpen hingegen nur noch gut exponierte und trockene Orte. In Südskandinavien ist sie überhaupt nur noch einjährig. Blütezeit: Juli bis August.
Geschichtliches und Allgemeines:
Im Altertum wurde die Melisse außer als Heilpflanze in erster Linie als Bienenfutterpflanze kultiviert. Dioskurides nennt sie „melissophyllon“ (Bienenblatt), weil die Pflanze den Bienen angenehm sei. Ferner sei sie ein gutes Mittel bei Skorpion- und Spinnenstichen sowie bei Hundebissen. Als Sitzbad fördere sie die Menstruation, als Mundspülwasser solle sie gut gegen Zahnschmerzen und als Klistier gegen Dysenterie sein. Plinius, bei dem die Anwendungen die gleichen sind wie bei Dioskurides, empfiehlt noch den mit Honig vermischten Melissensaft als ausgezeichnetes Mittel gegen Verdunkelung der Augen. Auch bei den arabischen Ärzten war die Melisse sehr geschätzt. Avicenna (11. Jahrhundert) lobt sie zur Stärkung der Vitalität und Vertreibung der Melancholie. Nach Deutschland ist sie wohl erst im Mittelalter gekommen. Das erste in deutscher Sprache gedruckte Kräuterbuch „Hortus Sanitatis“ (1485) erwähnt sie hauptsächlich als Frauenmittel.
Wirkung
Schon in den Werken des Hippokrates, häufiger noch bei Paracelsus, wird Melissa angeführt.
Bock rühmt sie bei „beinahe allen innerlichen presten“, bei Verschleimung der Brust, Asthma, schwachem Herzen, Epilepsie, Melancholie, Unterleibsschmerzen, Magendrücken, äußerlich gegen Mundfäule und trübe Augen und als Emmenagogum.
Matthiolus läßt Melissa auch gegen Herzklopfen, Zahnweh, Uterusverlagerungen, „unruhige Mutter“ (daher der Name „Mutterkraut“) und zur Zerteilung von Kröpfen anwenden.
1611 wurde von den Pariser Karmelitern ein Karmelitergeist eingeführt, der im wesentlichen Melissa enthält und noch heute bei Nausea, leichter Ohnmacht, Magenstörungen, zum Einreiben bei Rheuma und Kontusionen Verwendung findet.
Boerhaave empfiehlt Melisse bei Nervenkrankheiten als „munter-machend“, belebend, besonders bei hypochondrischen Beschwerden.
Nach Leclerc setzten sich für die Melisse ein Trousseau, der sie gegen Kopfschmerzen empfindlicher nervöser Personen, vorübergehende Sinnestrübung, Ohrensausen und Schwindelgefühl nach geistiger Überanstrengung empfahl, und Delioux de Savignac, der ihr eine antispasmodische Wirkung zuschrieb.
Osiander führt die Melisse als Anregungsmittel der Hauttranspiration und gegen Menstruationskoliken an.
Nach H. Schulz wird der Melissentee in der Volksmedizin als erstes Getränk Neuentbundener, bei Magenbeschwerden, krampfhaftem Erbrechen und leichtem Darmkatarrh getrunken, weiter bei gewissen Formen von Asthma, bei chronischem Bronchialkatarrh, nervösem Herzklopfen und schließlich bei Amenorrhöe. Äußerlich werden die frischen Blätter gegen Geschwülste, Geschwüre und Milchknoten der Brust und bei Quetschungen aufgelegt.
Bohn, der der Melisse gelind reizende, mild anregende und nerven-stärkende Eigenschaften zuschreibt und sie besonders geeignet für die Kinder- und Frauenpraxis hält, nennt als Indikationen mangelnde Menstruation, nervöse Migräne, Krampfzustände der Unterleibsorgane, nervöses Erbrechen und Zahn- und Kopfschmerzen schwangerer Frauen.
Chabrol u. a. fanden in Versuchen an Hunden, daß Melissenextrakt die Gallensekretion vermehrt.
Außer dem ätherischen Öl mit Citral und Citronellal enthält die Pflanze noch Gerbstoff (4%), Harz, Schleim und Bitterstoff. Balansard fand geringe Mengen von Glukosid und saurem Saponín.
Bei der äußeren Anwendung und bei der Verwendung als Karminativum wirken sicherlich die verschiedenen Inhaltsstoffe zusammen.
Der Gehalt an Wirkstoffen scheint nach mehreren sonnigen, heißen und trockenen Tagen ab-, nach trüben und kalten Tagen dagegen zuzunehmen.
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Dänemark: Innerlich als beruhigendes und herzstärkendes Mittel; äußerlich zu Bädern gegen Hüftschmerzen, Ausschlag und Flechten. (Melisse soll den Haarwuchs stärken und das Grauwerden verhindern. Auch dient sie zum Konservieren des Fleisches und Schutz gegen Fliegen.)
Litauen: Der Infus des Krautes zusammen mit Majoran gegen Gedächtnisschwäche.
Steiermark: Als Beruhigungsmittel.
Ungarn: Als schmerzstillendes Mittel, bei Pilzvergiftung, Schlangen- und Bienenstich.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Melissa wirkt nervenstärkend, krampfwidrig und belebend, insbesondere auf Gehirn, Herz, Uterus und Magendarmtraktus. Im einzelnen verordnet man das Mittel gern und mit gutem, aber auch wechselndem Erfolge bei Palpitatio cordis, Herzneurosen, Angina pectoris, Neurasthenie, Migräne, nervösen Kopf-, Zahn- und Ohrenschmerzen, Schlaflosigkeit, Asthma nervosum, Hysterie, Melancholie, Hypochondrie, Vertigo, Ohnmacht, sexuellen Reizzuständen, Dysmenorrhöe, Chlorose, Blutarmut und zu schwacher Periode.
Romming, Fürth, gibt die Teeabkochung mit Dextropur gesüßt gern entkräfteten asthenischen Frauen mit sekundärer Anämie nach Abortus, Menorhagien zusammen mit Beschwerden über Hinterhauptkopfweh.
Eine sehr günstige Wirkung zeigt das Mittel auf alle Gastro- und Enteropathien nervös-spastischer Natur wie Gastrospasmen, Enteritiden, Flatulenz, Brechreiz und Koliken. Bei Säuglingsblähungen empfiehlt Schenk, Weimar, ein Teegemisch von Melissa, Chamomilla und Mentha piperita.
Weiter wird Melissa noch zur Stärkung der Augen, bei leichteren Kreislaufstörungen und von Müller, Donaustauf, bei Arteriosklerose und zur Steigerung der Diurese genannt.
Äußerlich als Umschlag dient sie gegen Tumoren, Milchbrustknoten, Quetschungen, Bluterguß und Rheuma.
Melissa wird gern im Teegemisch mit anderen Nervina wie Valeriana, Lavandula, Hypericum usw. verordnet.
Angewandter Pflanzenteil:
Kraut bzw. Blätter werden von den Schriftstellern (Hippokrates, Bock, Matthiolus, Osiander, Bohn, Kroeber u. a.) als verwendet bezeichnet. Auch das HAB. läßt zur Bereitung der Urtinktur frische Blätter verwenden (§ 3). Aus solchen wird auch das „Teep“ bereitet. Zeit der Ernte: Erster Schnitt Juni bis Juli, zweiter Schnitt September. Es empfiehlt sich, die Blätter nach trüben, kühlen Tagen zu ernten.
Folia Melissae sind offizinell in allen Staaten mit Ausnahme von Rußland, Finnland, Schweden, Holland, England, USA. und Mexiko. In einigen Staaten sind auch die Herba oder Summitates Melissae gebräuchlich.
Dosierung:
Übliche Dosis:
2-3 Teelöffel voll (= 3,2-4,8 g) zum heißen Infus täglich.
1 Tablette der Frischpflanzenverreibung „Teep“ drei- bis viermal täglich.
(Die „Teep“-Zubereitung ist auf 50% Pflanzensubstanz eingestellt, d. h. 1 Tablette enthält 0,125 g Fol. Melissae.)
In der Homöopathie:
dil. D 1, dreimal täglich 10 Tropfen.
Maximaldosis:
Nicht festgesetzt.
Rezepte:
Als Karminativum (nach Rost-Klemperer):
Rp.:
Fol. Melissae (= Melissenblätter)
Fol. Menthae piperitae (= Pfefferminzblätter)
Flor. Chamomillae aa 25 (= Kamillenblüten)
M.f. species.
D.s.: Zum Teeaufguß.
Zubereitungsvorschlag des Verfassers: 2 Teelöffel voll auf 1 Glas Wasser
vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.
Rezepturpreis ad chart. etwa 1.29 RM.
Bei Verdauungsstörungen der Neurastheniker (nach Fischer):
Rp.:
Hb. Melissae (= Melissenkraut)
Flor. Lavandulae (= Lavendelblüten)
Hb. Cardui benedicti (= Kardobenediktenkraut)
Fol. Menthae pip. aa 25 (= Pfefferminzblätter)
M.f. species.
D.s.: 3 Teelöffel voll auf 2 Glas Wasser
vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.
Rezepturpreis ad chart. etwa 1.54 RM.
Bei nervösen Schwächezuständen:
Rp.:
Hb. Melissae conc. 50
D.s.: 2 Teelöffel voll zum heißen Aufguß mit 2 Glas Wasser, tagsüber trinken.
Preis nach Arzneitaxe 10 g -.10 RM.
Als galletreibendes Mittel (nach Meyer):
Rp.:
Cort. Frangulae (= Faulbaumrinde)
Fol. Melissae officinalis (= Melissenblätter)
Fol. Agrimoniae eupatoriae (= Odermennigblätter)
Fol. Menthae piperitae (= Pfefferminzblätter)
Hb. Chelidonii majoris aa 20 (= Schöllkraut)
M.f. species.
D.s.: 1 Eßlöffel auf 1 Tasse Wasser aufgießen. Früh und abends 1 Tasse trinken.
Zubereitungsvorschlag des Verfassers: 2 Teelöffel voll auf 2 Glas Wasser
vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.
Rezepturpreis ad chart. etwa 1.28 RM.
Bei nervösen Herzleiden (nach E. Stieber):
Rp.:
Hb. Melissae (= Melissenkraut)
Hb. Hyperici aa 30 (= Johanniskraut)
C.m.f. species.
D.s.: 2 Teelöffel voll auf 2 Glas Wasser
vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.
Rezepturpreis ad chart. etwa -.72 RM.
Als Karminativum mit Abführmittel (nach Ewald und Heffter):
Rp.:
Fruct. Carvi cont. (= Zerstoßenen Kümmelsamen)
Fruct. Foenicùli cont. aa 10 (= Zerstoßenen Fenchelsamen)
Fol. Melissae 5 (= Melissenblätter)
Fruct. Coriandri cont. 15 (= Zerstoßenen Koriandersamen)
Fol. Menthae pip. 20 (= Pfefferminzblätter)
Fol. Sennae deresinat. 40 (= Entharzte Sennesblätter)
M.f. species.
D.s.: 1 Eßlöffel auf 1 l Wasser zum Tee. Dreimal täglich 1 Weinglas kalten Tee zu nehmen.
Rezepturpreis ad chart. etwa 2.40 RM.
Bei Amenorrhöe (nach Meyer):
Rp.:
Hb. Rutae graveolentis (= Rautenkraut)
Flor. Anthemis nobilis aa 20 (= Römische Kamillenblüten)
Fol. Melissae (= Melissenblätter)
Fol. Rosmarini aa 30 (= Rosmarinblätter)
M.f. species.
D.s.: 1 Eßlöffel auf 1 Tasse Wasser abkochen. Täglich abends 1 Tasse trinken.
Zubereitungsvorschlag des Verfassers: 1 1/2 Teelöffel voll auf 1 Glas Wasser
vgl. Zubereitung von Teemischungen
________________________________ Inhaltsverzeichnis: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Gerhard Madaus (+ 1942), Ausgabe Leipzig 1938 Auf Bilder / Photos des Lehrbuches wurde wegen mangelnder Aktualität / Qualität verzichtet. Ebenso ist die Einführung in dieser Online-Version nicht vorhanden. Sie können hier ausschließlich auf die Besprechung der einzelnen Pflanzen zurückgreifen. Die Rezepturen werden in das Kompendium im Laufe der Zeit eingearbeitet. Vorhandene Fotos: Rechte beim Verlag erfragbar.