Liebstöckel, Umbelliferae.
Name:
Levisticum officinále Koch 1824 (= Ligusticum levisticum L., Angelica levisticum All., = Levisticum levisticum Karsten 1882, = Hipposelinum levisticum Britton et Rose, = Angelica paludapifolia Lam. 1779, = Levisticum officinale Rchb. 1832, = L. officinale var. vel subsp. cultum Thellung 1923). Berg-Liebstöckel. Französisch: Livèche, ache des montagnes, céléri bâtard; englisch: Lovage, mountain-hemlock, smellage, bladderseed, lovage root; italienisch: Levistico, ligustico, sedano montano, sedano di montagna, ipposellino; dänisch: Lövstikke, Lövstilke; litauisch: Liubistras; polnisch: Lubczyk; russisch: Lubistok; tschechisch: Libeček lékařský; schwedisch: Libsticka; ungarisch: Lestyán.
Verbreitungsgebiet
In Europa und Nordamerika angebaut.
Namensursprung:
Levisticum ist, entgegen der Erklärung, die es vom lateinischen levare = erleichtern, lindern, ableitet, die lateinische Übertragung des griechischen λιβνστιχν (libystikón) oder λτγνστχν (ligystikón), Name bei Dioskurides, wohl = ligurisch, also gleichbedeutend mit ligústicum. Der Name Liebstöckel gilt von jeher als Muster einer „Volksetymologie“. Er hat nämlich weder mit „Liebe“ noch mit „Stock“ etwas zu tun, vielmehr ist er nach dem mittellateinischen levisticum entstanden.
Volkstümliche Bezeichnungen:
Lefestik, Lubbe(r)stick(en) (Ostfriesland), Lübstock (Mecklenburg), Levestock (Westfalen), Lêwerstock (Göttingen), Lewestock (Eichsfeld), Leppstock (Niederrhein), Liebstengel, Lievstock (Eifel), Lebensstock (Oberharz), Liebesstückel (Schlesien), Liebrohr, Lieberöhre (Baden), Leibstöckle (Erzgebirge), Ladstock oder Ladstöckl (Böhmerwald, Tirol), Lusteken, Luststecken (bayrisch-österreichisch), Luststock (Kärnten), Leïfstack (Lothringen), Lobstock (Elsaß), Leibstäckle (Calw), Rübestöckel (Riesengebirge), Rüabstickl (bayrisch Schwaben), Gichtstock (Niederösterreich). Andere Bezeichnungen sind: Gebärmutterwurzel, volksmedizinische Verwendung, Sanigl (Westböhmen), Schluckwenhrohr (Schweiz), Badkraut (Elsaß), Saukraut.
Botanisches:
Die ausdauernde Pflanze beansprucht einen kräftigen, tiefgründigen Boden und wird in Europa und Nordamerika angebaut. Ihre eigentliche Heimat ist nicht bekannt. Die kahlen röhrigen Stempel werden bis 2 m hoch und tragen zwölf- bis zwanzigstrahlige, gewölbte Dolden. Die Blütenkrone ist blaßgelb. Die Blätter sind im Umriß dreieckig-rhombisch. Die unteren erreichen eine Länge bis zu 70 cm und eine Breite bis zu 65 cm. Die Pflanze hat einen sellerieartigen Geruch, der sich – auch nur in geringen Mengen den Tieren verfüttert – dem Fleisch und der Milch mitteilt. Blütezeit: Juli bis August.
Geschichtliches und Allgemeines:
Ob die Pflanze schon im Altertum bekannt war, ist angesichts der Unsicherheit der Bedeutung des „ligystikón“ des Dioskurides (= ligusticum bei Columella und Plinius) fraglich. Trotz mancher gegenteiligen Ansicht ist A. Tschirch dafür, unser Levisticum mit dem Ligusticum der Alten zu identifizieren. Dioskurides schreibt den Samen und der Wurzel erwärmende und die Verdauung fördernde Eigenschaften zu; auch sollen sie gegen den Biß der wilden Tiere helfen und ein Diuretikum und Emmenagogum sein. Im Mittelalter erfreute sich das Liebstöckel in therapeutischer Hinsicht einer großen Beliebtheit. Im Capitulare Karls des Großen ist es angeführt, und die beiden heilkundigen Frauen des Mittelalters, die h l. Hildegard und Trotula, rühmen es als Mittel gegen Halskrankheiten und als Emmenagogum. Auch in den angelsächsischen Medizinbüchern wird es häufig erwähnt. Die Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts preisen die Tugenden des Liebstöckels eingehend. L. Fuchs faßt sein Urteil dahin zusammen: „In summa Liebstöckel ist ein treffentlich Kraut und würt demnach billich in alle Gärten geziht.“ In der Schweiz und im Elsaß trinkt man jetzt noch gegen Halsschmerzen durch den hohlen, röhrenförmigen Stengel des Liebstöckels warme, süße Milch, eine Anwendungsart, die bis ins 17. Jahrhundert zurückführt. In Österreichisch-Schlesien und in Estland gebraucht man es gegen Schlangengift. Da Dioskurides bereits schreibt, daß das Ligystikon gegen die Bisse giftiger Tiere helfe, ist das Mittel wohl auf dem Wege der Kräuterbücher aus der Antike ins Volk gedrungen. In der Tierarzneikunde wird die Wurzel zum Fördern des Kalbens benützt.
Der Geschmack des Liebstöckelsaftes erinnert nach Meyer an Bouillonwürfel.
Wirkung
Levisticum wird schon von Hippokrates (allerdings ist es noch umstritten, ob unter der Pflanze „σσελι“ wirklich unser Liebstöckel zu verstehen ist), der hl. Hildegard und Paracelsus erwähnt.
Lonicerus rühmt ihm recht viele gute Eigenschaften nach, von denen besonders die diaphoretische, diuretische, verdauungsfördernde und magenerwärmende interessieren; außerdem soll Liebstöckelwurzel die „Geelsucht und schwarze Melancholei“ austreiben.
Nach Matthiolus besitzt Levisticum auch emmenagoge, stein- und windtreibende Kraft.
Weinmann bezeichnet es als Gegengift, Diuretikum, Diaphoretikum und Wundmittel. Es soll gleiche Wirkungen wie Angelica und Meisterwurz besitzen und besonders angebracht bei Magenerkältungen, Engbrüstigkeit und als Emmenagogum sein.
Im Poliklinischen Institut der Universität Berlin behandelte Hufeland Hydropspatienten häufig mit dieser Pflanze.
Auch Kuprijanow beschreibt einen Fall, wo das Infus (30-180 g) von Rad. Levistici bei Hydrops unzweifelhaft gute Dienste leistete.
Leclerc bezeichnet Levisticum ähnlich der Angelica als Karminativum und als Diuretikum.
Beim Kaninchen soll durch Injektion geringer Mengen des Pflanzenextraktes in kurzer Zeit eine starke Steigerung der Diurese beobachtet worden sein.
Auch Bonsmann und Hauschild konnten in Versuchen an Mäusen durch Oleum Levistici diuretische Wirkung beobachten, am stärksten war diese nach peroraler Einverleibung, doch konnten auch nach subkutanen und intraperitonealen Injektionen diuretische Effekte gesehen werden.
Die diuretische Wirkung wird zum Teil bedingt durch das bis zu etwa 0,6% (auch 1% wird angegeben) im Liebstöckel enthaltene ätherische Öl mit Terpineol und Terpenen. Die Wurzel ist auch ein Bestandteil der Species diureticae des amtlichen Deutschen Arzneibuches.
Nach Schulz wird sie außer als Diuretikum auch bei chronischen Katarrhen und bei Menostase verwandt.
Wie W. Demitsch im folgenden Abschnitt berichtet, schreibt das russische Volk der Pflanze magenstärkende, fieberwidrige, wurm- und harntreibende Eigenschaften zu.
„Ein Branntweinaufguß daraus ist seit langer Zeit bei Magenbeschwerden im Gebrauch (W. M. Richter, Geschichte der Medicin in Rußland. Moskau 1813 bis 1817, Bd. I, S. 108). – Die Esten nehmen die pulverisierte Wurzel bei Fieber ein; dieselbe gekocht und dann als Waschwasser gebraucht, soll die Leberflecken vertilgen (J. W. L. v. Luce, Heilmittel der Esten auf der Insel Ösel. Pernau 1829, S. 20). – Einen Branntweinaufguß benutzt man nach Krebel (Volksmedicin und Volksmittel verschiedener Völkerstämme Rußlands. Skizzen. Leipzig und Heidelberg 1858) bei träger Verdauung, Blähungen und Kolik. – In Wolhynien wird die Wurzel bei Fieber gekaut. – Im Gouvernement Wladimir legt man dieselbe auf den kranken Zahn; bei Heiserkeit wird sie nüchtern gegessen (W. Deriker, Zusammenstellung der Volksheilmittel, die von Zauberern in Rußland gebraucht werden. St. Petersburg 1866, S. 104). – Im Gouvernement Kiew wird eine Wurzeltinktur bei Koliken eingenommen (T. Werschbizki, Pflanzen, die als arzneiliche vom Volke der hiesigen Gegend gebraucht werden. Kiewsche Gouvernements-Zeitung 1867). – Nach Annenkow (Botanisches Lexicon. St. Petersburg 1878, S. 192) wird das Mittel im Gouvernement Wladimir bei Frauenkrankheiten gebraucht. – Im Gouvernement Charkow wird das Kraut zu Waschungen des Kopfes bei Schmerzen desselben angewandt (Leontowitsch, Arch. d. Ger. Med. 1871, Bd. II, S. 56 ff.). – In einigen Provinzen wird es als Anthelmintikum angewandt (Russisches Volksheilmittel-Kräuterbuch. Zusammengestellt von W. Goretzki und Wiljk 1885, S. 489). – Im Kaukasus wird die Pflanze bei Skorbut zu Mundwasser benutzt oder die frischen Blätter derselben gekaut (J. Schablowski, Medicamente und Heilverfahren der Volksärzte Abchasiens und Ssamrusaks. Medic. Sammlung, herausgegeben von der kaukasischen medicinischen Gesellschaft. Tiflis 1886, Nr. 41). – In der Ukraine trinkt man eine Blätterabkochung bei Wassersucht, einen Branntweinaufguß bei Blutarmut. Außerdem bereitet man daraus eine Seife, welche bei Flechten, Furunkel und dergleichen angewandt wird (K. S. Gornitzki, Bemerkungen über einige wildwachsende und angebaute Pflanzen der Ukraine-Flora, die als Volksheilmittel im Gebrauche sind. Charkow 1887, S. 98).“
Eigene Untersuchungen ergaben, daß der ätherische Ölgehalt nachts etwas geringer ist, und daß die Wurzel nicht bakterizid bzw. fungizid wirkt.
Die Wurzel enthält nach älteren Angaben neben Harz, Äpfelsäure, Gummi vielleicht auch Angelicasäure, ferner Stärke, Invertzucker und Saccharose
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Dänemark: Als Emmenagogum, Diuretikum und Galaktagogum, ferner bei Verdauungsbeschwerden; äußerlich als Gurgel- und Gesichtswasser, gegen Krätze und Beulen.
Litauen: Wurzel und Kraut als Infus bei geschwollenen Händen und Füßen.
Polen: Als Magen-Darmmittel und Aphrodisiakum.
Ungarn: Als Verdauungsmittel und Emmenagogum, bei Typhus, Gelbsucht und Frauenleiden.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Levisticum officinale wird nicht nur als Diuretikum, sondern als Ableitungs- und Umstimmungsmittel bei Hydrops, auch kardialem, sehr häufig verordnet, ferner bei ödematösen Anschwellungen, insbesondere der Füße, Cystitis, Pyelitis, Nephropathien, Retentio urinae, Albuminurie und Migräne durch schlechte Nierenfunktion. Bewährt hat es sich auch als Emmenagogum bei Amenorrhöe (selten wird es gebraucht bei Dysmenorrhöe und Fluor albus); ebenso wird es als Unterstützungsmittel häufig bei Magenschwäche und -verschleimung, Verdauungsbeschwerden, Dyspepsie, Flatulenz, bei Herzbeschwerden, die mit Magen- und Darmleiden in Verbindung stehen, bei Milz- und Leberleiden, Lithiasis, Gicht, Rheuma, Verschleimung der Atmungsorgane, übelriechenden Schweißen, allgemeiner Schwäche und Nervenleiden, insbesondere Hysterie, angewandt.
Äußerlich wird die Abkochung der Wurzel oder auch die der grünen Pflanze als Bäderzusatz bei schlecht heilenden Wunden und Eiterungen, Erbgrind und zur Stärkung der Unterleibsorgane genannt.
Levisticum wird häufig im Teegemisch mit anderen diuretischen Kräutern verordnet.
Angewandter Pflanzenteil:
Hippokrates läßt Samen und Wurzel verwenden (sofern seine Angaben sich auf unser Levisticum officinale beziehen).
Bock und Lonicerus berichten von der Verwendung von Kraut, Samen und Wurzel.
v. Haller erwähnt die Wurzel in erster Linie neben dem Kraut.
Geiger kennt als offizinell nur die Wurzel.
Die Verwendung von Wurzel und Kraut geben auch an: Kroeber, Thoms und Zörnig.
Nach Dragendorff und Thoms enthalten auch die Samen die wirksamen Stoffe. Nur von den Wurzeln sprechen Kobert und Schulz, und Wurzel und Samen empfiehlt Ferd. Müller.
In dem HAB. heißt es: Frischer, im Herbst gesammelter Wurzelstock mit daran hängenden Wurzeln (§ 3).
Aus diesem wird auch das „Teep“ gewonnen. Sammelzeit: August bis September. Radix Levistici ist offizinell in Deutschland und der Schweiz.
Dosierung:
Übliche Dosis:
1-2 Messerspitzen des Pulvers (Dinand);
0,5-2 g der Wurzel mehrmals täglich (Rost-Klemperer);
1-1 1/2 Teelöffel voll (= 5,4-8,1 g) zum heißen Infus täglich.
1/2-1 Teelöffel voll der Frischpflanzenverreibung „Teep“ dreimal täglich.
(Die „Teep“-Zubereitung ist auf 50% Pflanzensubstanz eingestellt.)
Maximaldosis:
Nicht festgesetzt.
Rezepte:
Bei Hydrops und Cysto- und Nephropathien:
Rp.:
Rad. Levistici conc. 50 (= Liebstöckelwurzel)
D.s.: 1 Teelöffel voll zum heißen Aufguß mit 2 Glas Wasser, tagsüber zu trinken.
Rezepturpreis ad chart. etwa -.77 RM.
Bei Magenschwäche (nach P. Flämig):
Rp.:
Rad. Levistici (= Liebstöckelwurzel)
Hb. Melissae aa 25 (= Melissenkraut)
Hb. Menyanthis trifol. 20 (= Bitterkleekraut)
Hb. Centaurii (= Tausendgüldenkraut)
Strob. Lupuli aa 15 (= Hopfenzapfen)
M.f. species.
D.s.: 2 Teelöffel voll auf 2 Glas Wasser
vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.
Rezepturpreis ad chart. etwa 1.48 RM.
Als Diuretikum:
Rp.:
Species diureticae 100
D.s.: 3 Teelöffel auf 2 Glas Wasser
vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.
Zusammensetzung DAB. VI:
Rad. Levistici (= Liebstöckelwurzel)
Rad. Ononidis (= Hauhechelwurzel)
Rad. Liquiritiae (= Süßholzwurzel)
Fruct. Juniperi aa p. (= Wacholderbeeren)
Preis nach Arzneitaxe 10 g -.10 RM.
Bei Geschwüren usw. als Badezusatz (nach Kroeber):
Rp.:
Rad. Levistici offic. 50 (= Liebstöckelwurzel)
D.s.: Zum Aufguß mit 5 l Wasser, den Absud dem Bade zusetzen. Morgens und abends baden.
Rezepturpreis ad chart. etwa -.77 RM.
Als Diuretikum (nach Hauer):
Rp.:
Rad. Levistici (= Liebstöckelwurzel)
Fol. Uvae ursi (= Bärentraubenblätter)
Rad. Ononidis (= Hauhechelwurzel)
Hb. Equiseti 25 (= Schachtelhalmkraut)
M.f. species.
D.s.: 2 Teelöffel auf 2 Glas Wasser
vgl. Zubereitung von Teemischungen
________________________________ Inhaltsverzeichnis: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Gerhard Madaus (+ 1942), Ausgabe Leipzig 1938 Auf Bilder / Photos des Lehrbuches wurde wegen mangelnder Aktualität / Qualität verzichtet. Ebenso ist die Einführung in dieser Online-Version nicht vorhanden. Sie können hier ausschließlich auf die Besprechung der einzelnen Pflanzen zurückgreifen. Die Rezepturen werden in das Kompendium im Laufe der Zeit eingearbeitet. Vorhandene Fotos: Rechte beim Verlag erfragbar.