Geum urbanum & Geum rivale
Echte Nelkenwurz und Bachnelkenwurz, Rosaceae.
Name:
Géum urbánum L. (= Geum caryophyllata Gilib., = Caryophyllata urbana Scop., = C. vulgaris Lam., = C. officinale Moench). Echte Nelkenwurz. Märzwurz, Hasenaug, Heil aller Welt, Mannskraft, Garoffel. Französisch: Bénoite, herbe de Saint Bénoit, herbe ou racine bénite; englisch: Avens root; italienisch: Cariofillata, garofanaja, erba di plaga, erba benedetta, ambretta selvatica; dänisch: Feber Nellikerod, Benedikturt, Krat-Humle-blomst; litauisch: žiognage, Bajorūnas; polnisch: Kuklik; russisch: Grawilat; tschechisch: Kuklík obecný, benedykt; schwedisch: Nejlikrot; ungarisch: Gyömbérgyökér.
Verbreitungsgebiet
Weiteres Vorkommen: Sibirien, Nordamerika, Himalajagebiet, Atlasländer.
Volkstümliche Bezeichnungen:
Nach dem Gewürznelkenduft der Wurzel: Nägalaswurz (Schwäb. Alb), wegen der Heilkraft: Benediktenkraut, Wilder Sanikel, Heilnarsch (Ostpreußen) wegen ihrer Wirkung bei schwacher Verdauung. Auf ihre Verwendung gegen Augenkrankheiten (Flecken in den Augen = „Nagel“) deuten hin: Flecka-, Nagel-, Augabüntelichrut (St. Gallen) u. a.
Name:
Geum rivale L. (= G. nutans Crantz non Lam., = Caryophyllata rivalis Scop., = C. aquatica Lam.). Bachnelkenwurz. Französisch: Bénoite d’eau ou des ruisseaux; englisch: Avens; italienisch: Cariofillata a benedetta aquata.
Volkstümliche Bezeichnungen:
Die meisten volkstümlichen Namen sind durch Farbe und Form der Blüten und durch den Standort bedingt, z. B. Bachnägeli (Baden), Herzglocken (Oberharz), Fleischglöckchen (Thüringen), Kuhschelle (Baden), Kapuzinerle (Baden, Schweiz) usw.
Namensursprung:
Geum wahrscheinlich von γεειν (geuein) = kosten, wegen der aromatischen Wurzel, urbanus = städtisch, an Mauern wachsend, rivalis = am Bache wachsend.
Botanisches:
Die 25-130 cm hohe Halbrosettenstaude Geumurbanum ist im gemäßigten Eurasien und in Nordamerika verbreitet. Die Rosettenblätter sind kurz gestielt und unterbrochen leierförmig gefiedert; der aus der Achsel eines Grundblattes entspringende aufrechte, dünne, flaumig behaarte Stengel trägt dreizählige, oben dreiteilige Blätter, deren Nebenblätter rundlich nierenförmig und ungleich eingeschnitten gezähnt sind. In locker traubig-rispigen Blütenständen stehen die endständigen lebhaft gelben, meist zwitterigen, schwach proterogynen Blüten, aus denen sich behaarte Früchtchen entwickeln. Diese zeigen einen ausgeprägten Angelhakentypus, so daß sie sehr leicht an Tieren und Kleidern hängen bleiben und verbreitet werden. Daher das massenweise Auftreten an Wildlägern und in wildreichen Auengebüschen, wo die Pflanze auch die ihr zusagende mittlere Bodenfeuchtigkeit, Nährstoffreichtum und leichte Beschattung findet. Auch an Mauern, Zäunen und an feuchten Schuttplätzen wächst sie gern. Blütezeit: Juni bis September.
Bei Geum rivale entspringt aus der grundständigen Laubblattrosette der Stengel, der etwa 15-70 cm hoch wird. Er ist aufrecht und oberwärts meist ästig, von einfachen Haaren sowie von Drüsenhaaren flaumig und oben braunrot überlaufen. Die Rosettenblätter sind langgestielt, unterbrochen leierförmig gefiedert mit sehr großem Endblättchen. Seitenblättchen ungleich groß, das oberste Paar viel größer. Die Oberseite der Blätter ist spärlicher behaart als die Unterseite. Die oberen Stengelblätter sind dreizählig. Die Blüten stehen in armblütigen Doldentrauben auf dicht behaarten Stielen. Die Blüte besteht aus fünf lang zugespitzten, braunroten Kelchblättern, fünf linealen Außenkelchblättern von der halben Länge der Kelchblätter, fünf Kronenblättern, die bald kürzer, bald länger sind als die Kelchblätter. Sie sind breit verkehrt-ei- bis herzförmig und rasch in den Nagel verschmälert. Die Farbe ist blaßgelb und hellrot überlaufen. Staubblätter viele, Fruchtblätter zahlreich. Die Blüte ist nickend. Fruchtköpfchen gestielt. Früchtchen an der Spitze hakig. Blütezeit April und Mai, manchmal bis in den Juli hinein. Die Pflanze ist im gemäßigten Eurasien und in Nordamerika heimisch. Sie ist anzutreffen in feuchten Hochstaudenbeständen, an Quellen, Bachufern, in Auen- und Bruchwäldern, auf feuchten, humosen Wiesen und an ähnlichen Stellen. Sie kommt zwar auf allen Unterlagen vor, häufiger aber auf kalkreichen Böden.
Geschichtliches und Allgemeines:
Die Nelkenwurz ist schon seit dem Altertum medizinisch verwendet worden. Die bei Plinius unter Geum beschriebene und gegen Brustbeschwerden empfohlene Pflanze wird meistens als Geum urbanum gedeutet. Unter dem Namen Geum urbanum wurde die Echte Nelkenwurz zuerst von Conrad Gesner aufgeführt. Die Botaniker des Mittelalters nannten sie auch Sanamunda und schätzten ihre Heilkraft gegen zahlreiche Krankheiten séhr. Ebenso fand auch die Bachnelkenwurz, deren Wurzel als Radix Caryophyllatae aquaticae seu Gei rivalis früher offizinell war, Verwendung.
Die Wurzel von Geum urbanum wird auch als Zusatz zu Bier gebraucht, dessen Geschmack dadurch angenehmer und vor dem Sauerwerden geschützt wird. Die Blätter können als Salat gegessen werden.
Wirkung
Wo die beiden Arten in der Literatur besonders benannt sind, wird doch in der Wirkung nur insofern ein Unterschied gemacht, als manchmal der Bachnelkenwurz eine geringere Wirkungskraft zugeschrieben wird.
Lonicerus rühmt die „Benediktenwurz“ gegen Leberverstopfung, Magenerkältung und -verschleimung, Wassersucht, Unterleibskolik und Gelbsucht, ein von Kraut und Wurzel gebranntes Wasser gegen Wunden, Fisteln und Abszesse, innerlich und äußerlich gebraucht.
Matthiolus läßt die Wurzel außerdem anwenden bei Lähmungen infolge Schlaganfalls, Fisteln und Krebs, wobei er das Pulver in die „löcherte Schäden“ streuen läßt.
Als magen- und nervenstärkendes, uterusberuhigendes, expektorierendes und Wundmittel wird die Nelkenwurz von v. Haller empfohlen.
Hecker gebraucht sie auf Buchaves Rat hin als Ersatz der China selbst in Fällen, in denen diese versagte, so namentlich bei Febris quartana, wo sie auch bei Kongestionen im Pfortadersystem ohne Nebenwirkungen und Nachfolgen heilte. Als weitere Indikationen gibt Hecker an: Faul- und Nervenfieber, Diarrhöen, Dysenterien, Hämorrhagien, aus Uterus, Magen- und Harnwegen, Fluor albus, Spasmen, Amenorrhöe mit Chlorose, Skrofulose und stark eiternde Geschwüre.
In neuerer Zeit wird die Nelkenwurz von Leclerc als Tonicum amarum, bei Atonie der Verdauungsorgane, Dyspepsien, chronischer Diarrhöe und Dysenterie angewandt,
von Bohn bei fieberhafter Gastroenteritis, Typhus, namentlich in der Rekonvaleszenz, bei Skrofulose und Rachitis, die mit Darmstörungen verknüpft sind.
Peyer erwähnt, daß die Nelkenwurz in einem Hufelandschen Rezept, wohl als Karminativum, enthalten sei.
Die Volksmedizin schätzte Geum als Mittel gegen Diarrhöe und Erbrechen, Dyspepsie alter Leute, chronischen Bronchial- und Dickdarmkatarrh und Intermittens wie auch als Gurgelmittel bei Mundkrankheiten und hält an dieser Verwendung auch heute noch fest.
Vom russischen Volke wurde Geum urbanum gegen choleraartige Durchfälle, schmerzhafte Menses und Skrofulose gebraucht, eine Abkochung von Geum rivale gegen Uterusblutungen.
Der Kräuterpfarrer Künzle hebt das Benediktenkraut (er schließt auch noch Geum alpinum mit ein) ganz besonders hervor als eine der wichtigsten Heilpflanzen. Er führt Heilungen von Incontinentia urinae und Encephalitis an. Auch bei Augenentzündungen und Zahnweh helfen die frischen Wurzeln. Vor allem aber sei Benediktenkraut eine der besten „Herzstärkungen“. „Leute, die Schlaganfälle erlitten haben oder selbe zu fürchten haben, tun gut, fleißig die Benedikte zu benutzen.“ Er schreibt: „Ich habe selber gesehen, wie ein Hirt, dem eine Kuh erblindet war, diese in 8 Tagen geheilt hat mittels Auflegen eines Büschels der grünen Pflanze über die Augen.“
Der Hauptwirkstoff von Geum urbanum und Geum rivale ist das auch in den Gewürznelken vorkommende Eugenol, das den Wurzeln den eigenartigen Geruch verleiht und wie andere Bestandteile des zu 0,1% in der Pflanze vorhandenen ätherischen Öles bei der Spaltung des Glykosides Gein durch das Enzym Gease entsteht. Weiterhin enthält die Wurzel Bitterstoff, Saccharose und wie viele andere Rosaceen Gerbstoff.
Eugenol wirkt schwach lokalanästhetisch und stark antiseptisch, so daß es häufig zu Zahntropfen und Mundwässern Verwendung findet. Zugleich wirkt es aber auch reizend und ätzend.
Größere Gaben der Nelkenwurzel erregen Nausea und Vomitus. In großer Dosis bewirkt das Eugenol beim Menschen einen rauschartigen Zustand. 30 Gramm Nelkenöl riefen bei einem Menschen mehrstündige Bewußtlosigkeit, Zyanose, kalten Schweiß und wiederholtes Erbrechen hervor. Auch beim Kaninchen wurden nach größeren Gaben von Eugenol narkoseartige Erscheinungen beobachtet. In Dezigramm ist das Eugenol ungefährlich. Die glatte Muskulatur wird durch Eugenol gelähmt.
Schröder und Vollmer, die die Ausscheidung und Verteilung des Eugenols im Körper quantitativ untersuchten, berichten über auffallend starke Füllung der Gallenblase nach Eugenolverabfolgung, die sie zur bekannten Ausscheidung durch die Leber in Beziehung setzen. Eine Ausscheidung in der Lunge findet nicht statt.
Untersuchungen ergaben, daß die Blätter von Geum rivale nicht bakterizid bzw. fungizid wirken.
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Dänemark: Gegen Diarrhöe und Febris intermittens.
Italien: Gegen chronischen Darmkatarrh.
Litauen: Das Dekokt des Rhizoms bei Bauchsenkung und Fieber.
Polen: Die Wurzel gegen Magen- und Darmkrankheiten.
Ungarn: Magenleiden, als Wundmittel und zur Erleichterung der Entbindung.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Geum wird als Tonicum amarum vorwiegend bei Erkrankungen des Gastrointestinaltraktus verwendet. So gibt man es häufig bei Dysenterie, Typhus, gastrischem Fieber mit Atonie der Verdauungsorgane, Dyspepsie, Diarrhöe, auch Sommerdurchfällen (als 10% Sirup), Obstipation, Blähungen, Vomitus, Darmkrämpfen und kolikartigen Beschwerden. Des öfteren hat sich die Nelkenwurz auch bei Leber- und Gallenstörungen und bei Hämorrhoiden als nützlich erwiesen.
Als Chininersatz leistet sie bei Intermittens und Nervenfieber gute Dienste, ebenso wird sie bei Infektionskrankheiten und als Adstringens bei Hämorrhagien, Hämoptoe, leichtblutendem Zahnfleisch (allein oder im Wechsel mit Trillium) und bei Fluoralbus erfolgreich angewandt.
Schließlich werden noch folgende Indikationen für das ja schon von den alten Ärzten sehr vielseitig gebrauchte Mittel genannt: Nervenleiden, Herzleiden, wenn diese mit Blähungen verbunden, Muskelschwäche, Bleichsucht, Skrofulose und last, not least Nachtschweiße (gegen Nachtschweiße bei Lungenspitzenkatarrh allein oder auch in Verbindung mit Bryonia und Belladonna).
Außerdem empfiehlt Glaser, Karlsbad, den Tee gegen Diabetes, während Müller, Donaustauf, das Mittel im Klimakterium gebrauchen läßt.
Einheitliche Wechselmittel werden nicht genannt.
Angewandter Pflanzenteil:
Matthiolus und Lonicerus erwähnen neben dem Gebrauch der Wurzel auch den des Krautes. Alle späteren Literaturstellen nennen die Wurzel, d. h. wohl den bewurzelten Wurzelstock.
Erst wieder bei Clarke findet sich die Angabe, daß die Tinktur aus der frischen, blühenden Pflanze hergestellt werde. Bei Kroeber findet sich dieselbe Angabe, während Flamm-Kroeber die Wurzel als Sammelgut bezeichnen.
Das HAB. läßt die Essenz von Geum rivale aus frischen, blühenden Pflanzen ohne Wurzel (§ 3), die tinktur von Geum urbanum aus der getrockneten Wurzel (§ 4) bereiten. Das „Teep“ wird bei beiden Arten aus der im Frühjahr gesammelten frischen Pflanze mit Wurzelstock und Wurzeln gewonnen.
Sammelzeit: Mai bis Juni.
Radix Caryophyllatae (Rhizoma Gei urbani) ist offizinell in Dänemark und Portugal.
Dosierung:
Übliche Dosis:
10-15 Tropfen der Tinktur zwei- bis dreimal täglich (Friedrich);
1,2-1,8 g des Pulvers (Buchheim);
1-2,5 g Rhiz. Gei als Pulver (Rost-Klemperer);
2 Teelöffel voll des Krautes (= 2 g) zum heißen Aufguß täglich.
1/2 Teelöffel der Frischpflanzenverreibung „Teep“ zweimal täglich.
(Die „Teep“-Zubereitung ist auf 50% Pflanzensubstanz eingestellt.)
Maximaldosis:
Nicht festgesetzt, doch treten nach größeren Dosen Erbrechen und Übelkeit auf (Schulz).
Rezepte:
Als Tonikum amarum bei Erkrankungen des Magen-Darmtraktus:
Rp.:
Hb. Gei urbani 30 D.s.: 2 Teelöffel mit 1 Glas Wasser heiß ansetzen, 10 Minuten ziehen lassen und tagsüber trinken.Bei Intermittens und Hämorrhagien:
Rp.:
Gei urbani Ø 30 D.s.: Dreimal täglich 10 Tropfen in Wasser nehmen.Bei Nervenschwäche (nach Hufeland):
Rp.:
Rad. Valerianae (= Baldrianwurzel) Rad. Caryophyllat. (Gei urb.) (= Nelkenwurz) Hb. Menthae pip. (= Pfefferminzkraut) Fol. Aurantii aa 25 (= Pomeranzenblätter) C.m.f. species. D.s.: 1 Teelöffel auf 1 Glas Wasser vgl. Zubereitung von TeemischungenBei Diarrhöe (nach P. Flämig):
Rp.:
Cort. Aesculi hippocastani (= Roßkastanienrinde) Cort. Quercus roboris (= Eichenrinde) Rhiz. Tormentillae (= Tormentillwurzel) Rad. Gei urbani aa 5 (= Nelkenwurz) M.f. pulv. D.s.: Stündlich 2 Messerspitzen voll mit geschabtem Apfel.Bei Hämorrhagien (nach Junge):
Rp.:
Rad. Gei urbani (= Nelkenwurz) Rhiz. Tormentillae (= Tormentillwurzel) Hb. Bursae pastoris aa 20 (= Hirtentäschelkraut) C.m.f. species. D.s.: 2 Teelöffel auf 2 Glas Wasser vgl. Zubereitung von Teemischungen________________________________
Inhaltsverzeichnis: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Gerhard Madaus (+ 1942), Ausgabe Leipzig 1938 Auf Bilder / Photos des Lehrbuches wurde wegen mangelnder Aktualität / Qualität verzichtet. Ebenso ist die Einführung in dieser Online-Version nicht vorhanden. Sie können hier ausschließlich auf die Besprechung der einzelnen Pflanzen zurückgreifen. Die Rezepturen werden in das Kompendium im Laufe der Zeit eingearbeitet. Vorhandene Fotos: Rechte beim Verlag erfragbar.