Sonnentau, Droseraceae.
Name:
Drósera rotundifólia L. (= D. septentrionalis Stokes, = Rossolis septentrionalis Scop. p. p., = Rorella rotundifolia All.). Rundblätteriger Sonnentau. Französisch: Rossolis, rorelle, herbe à la rosée, rosée du soleil, rissole rosolaire, herbe à la goutte, rosette, oreille de diable; englisch: Dew plant, sundew, youthwort, lustwort, mooregrass, redrot; italienisch: Rosolida, rorella, rugiada del sole; dänisch: Soldug; polnisch: Rosiczka; russisch: Rosianka; schwedisch: Sileshår; tschechisch: Rosnička, rosička, rosnatka; ungarisch: Harmatfü.
Verbreitungsgebiet
Weiteres Vorkommen: Subarktisches Asien, Mandschurei, nördl. Japan, arktisches v. gemäßigtes Nordamerika, Grönland
Namensursprung:
Drosera liegt das griechische δρσος (drósos) = Tau zugrunde, mit Beziehung auf die Ausscheidungen der Blätter, die Tautropfen gleichen. Auch der Name Sonnentau bezieht sich auf die glänzenden, von den Blättern ausgeschiedenen Tröpfchen, die das Volk als Tau ansah. In den alten Kräuterbüchern wird die Pflanze dementsprechend als „ros solis“ bezeichnet, rotundifolius = rundblättrig.
Volkstümliche Bezeichnungen:
Das Wort „rós sólis“ drang auch (durch die Apotheker) ins Volk: Rossoli (Niederösterreich), Rosölichrut (Appenzell). Ebenfalls auf die (fett-)glänzenden Blätter beziehen sich Perlknöpf, Foaste Mandeln = Feiste Männer (Südböhmen). Die Landleute verwenden den Sonnentau auch als Aphrodisiakum bei Haustieren, daher im Niederdeutschen: Bull(n)krût (Schleswig, Mecklenburg), Spöelkrud (Ostfriesland).
Botanisches:
Die in Eurasien und Nordamerika heimische, ausdauernde, bis 20 cm hohe, fleischfressende Pflanze mit faseriger Wurzel ist auf feuchtem Sand und in Sümpfen anzutreffen, meidet aber kalkreiche Unterlage. Die kreisrunden, plötzlich in den Stiel verschmälerten, 6-7 mm langen und 6-11 mm breiten Blätter sind für den Insektenfang mit 200 zur Blattspreite senkrecht stehenden Tentakeln versehen, die ein klebriges Sekret ausscheiden (Sonnentau). Mit dem Torfmoos in Gemeinschaft lebend, wird es von diesem oft überwuchert. Dann durchbricht der Blütenstengel das Moospolster und bildet an dessen Oberfläche eine neue Blattrosette, während die unteren Blätter verfaulen. Der aufrechte Blütenschaft trägt an der Spitze eine Traube weißer Blüten. Diese bestehen aus einem fünfblätterigen Kelch, einer fünfblätterigen Krone, fünf Staubgefäßen und einem mehrfächerigen Fruchtknoten, der mehrere Griffel trägt. Frucht eine Kapsel. Vor den normalen Blüten treten reichlich fruchtende kleistogame auf. Blütezeit: Juni bis August. Verbreitung: Europa.
Die auf den Blättern zur Verdauung der gefangenen Tiere abgesonderten Säfte scheinen mit den Magen- und Darmsäften der fleischfressenden Tiere identisch zu sein.
Alle einheimischen Droseraarten dürfen in Deutschland zum Sammeln für den Handel oder gewerbliche Zwecke nicht freigegeben werden. Nur im Ausnahmefall kann das Sammeln in Gegenden, in denen Drosera häufig vorkommt, von der höheren Naturschutzbehörde zeitweilig gestattet werden.
Geschichtliches und Allgemeines:
Im Altertum scheint die Pflanze unbekannt gewesen zu sein. Erst im 13. Jahrhundert werden die Blätter des Sonnentaus als kühlendes Mittel genannt. Die Alchemisten glaubten in dem Saft, den die Drüsenhaare ausscheiden, den Stoff zur Bereitung des Goldes und des Lebenselixiers gefunden zu haben. Arnoldus de Villanova (1300-1363), Professor in Barcelona, beschäftigte sich mit der Gewinnung eines Elixiers aus der Drosera rotundifolia. Er wurde später in Italien wegen seiner wissenschaftlichen Forschungen und aufgeklärten Denkweise als Goldmacher und Teufelsbanner verfolgt. Nach seinem Tode wurden viele seiner Schriften durch die Inquisition der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen ausgeliefert. Er führte Drosera gegen Lungenleiden und Epilepsie als Heilmittel in die Medizin ein. In dem von ihm hergestellten Goldwasser, Aqua auri, einem Universalmittel bei allen Krankheiten, war der Sonnentau der Hauptbestandteil. Als wohlschmeckender Likör ist das Goldwasser auch heute noch in Italien populär. Aus dem Namen Ros solis (Gen. Roris solis) entstand der später für die Droge gebräuchliche Name Herba Rorellae. Der mit Zucker vermischte Preßsaft wurde gegen Husten, Schwindsucht, Nieren- und Blasenleiden angewandt. Im Jahre 1867 wurden (nach Caspary) von Pariser Homöopathen 300 kg getrocknete Drosera aus den Vogesen als Keuchhustenmittel bestellt. Als Amulett soll Drosera gegen Wahnsinn, Zahnschmerzen und schwere Entbindung getragen worden sein. In Mähren verwendet man sie gegen Augenentzündungen. Die Drosera wurde ebenso wie die insektenfressende Pflanze Pinguicula zur Herstellung von Zähmilch in Schweden benutzt. Die Zähmilch oder Langmilch ist eine Art Sauermilch, die sich monatelang hält und in den nördlichen Teilen von Schweden, Norwegen, Finnland und in Lappland früher allgemein, heute seltener, als säuerliches, erfrischendes Getränk von anscheinend hohem gesundheitlichen Werte genossen wird. E. Emrich untersuchte in einer Dissertation der technischen Hochschule München 1932 die Entstehung „schleimiger Milch“. Die Herstellung geschah in der Weise, daß die frischen Pflanzen von Drosera und Pinguicula mit der frisch gemolkenen Milch übergossen wurden, wodurch die Milch mit bestimmten Erregern infiziert wurde, um in Zähmilch überzugehen. In Versuchen konnte gezeigt werden, daß sich auf diese Weise in Bayern keine Zähmilch gewinnen läßt. Heutzutage wird die Zähmilch in Schweden durch Einimpfung von Mikroben (Streptokokken, Milchsäurestäbchen, Hefezellen und sehr oft Oidium lactis) gewonnen. Die fraglichen Mikroben scheinen demnach nicht überall auf den Droserablättern vorzukommen.
Wirkung
Drosera scheint den Ärzten und Botanikern älterer Zeiten unbekannt gewesen zu sein, erst Tabernaemontanus-Bauhinus beschreiben die Pflanze ausführlicher und zählen sie unter die Caustica. Nach ihnen hat der holländische Arzt Dodonaeus eindringlich vor der Anwendung der Pflanze bei Lungentuberkulose gewarnt.
Osiander nennt sie als lösendes Mittel bei Brustkrampf und führt sie auch gegen Unfruchtbarkeit an.
v. Haller entnimmt Berichten von Schäfern, daß der Sonnentau den Schafen durch einen beim Fressen des Krautes erzeugten starken, mitunter zum Tode führenden Husten sehr schädlich werden könne.
In der Volksmedizin wird der Sonnentau bei Vomitus matutinus, dyspeptischen Zuständen und gegen Epilepsie angewandt.
Ketel schreibt: „Ihre (unerklärte) Heilwirkung als Antispasmodikum ist unbestritten“.
Auch in Teerezepten für Arteriosklerotiker ist sie enthalten.
Potter lobt Drosera als sehr nützliches Mittel bei Keuchhusten und anderen krampfhaften Husten mit heftigen Paroxysmen, die zuweilen von Nasenbluten gefolgt werden.
Wasicky führt als Indikationen Keuchhusten, Lungentuberkulose und arteriosklerotische Beschwerden an, bezweifelt jedoch den therapeutischen Wert des Mittels.
Pic und Bonnamour untersuchten die Wirksamkeit der Droge bei Lungentuberkulose. Sie sahen keinen Erfolg, dagegen hatten sie gute Ergebnisse bei Keuchhusten. Bei dieser letzteren Indikation machte auch Leclerc gute Erfahrungen. Nach ihm beruhigt Drosera die Anfälle, vermindert ihre Häufigkeit und Dauer und übt einen günstigen Einfluß auf das Erbrechen aus.
Nach C. B. Inverni liegt die Hauptkraft der Pflanze in ihrer antispasmodischen Wirkung, auf Grund deren er sie bei gewissen Formen von Bronchitis, Asthma, Keuchhusten und selbst dem Husten der Phthisiker glaubt empfehlen zu können.
Außer bei Keuchhusten erweist sich Drosera nach Böhler auch nützlich bei Brust- und Darmkatarrhen, Gelbsucht und Wassersucht.
Drosera bewirkt wahrscheinlich erhöhten Eiweißzerfall im Körper, der zu vermehrter Phenol-Bildung und damit zum Auftreten von Hydrochinon im Harn führen kann (grünlich-braune Färbung des Harnes!). Hoppe, Seyler und Harter versuchten das Droserin zu isolieren. Es ist gegen hohe Temperaturen auffallend widerstandsfähig. 1924 studierte Petlach die pharmakologische Wirkung. Er glaubt, daß man der Drosera einen gewissen antisklerotischen Erfolg zuschreiben kann, der mit der diuretischen Wirkung in Zusammenhang steht. Nach Einnahme der Drosera ist die Blutalkalität herabgesetzt. Heinz beobachtete, daß die Droge, in großen Mengen genommen, Erkältungszuständen ähnliche Symptome hervorruft, in kleinen Dosen aber gegen Pertussis sich sehr bewährt. Nach Martinet ist die Anwendung bei niedrigerem Blutdruck, schwachem Herzen und schwachem Gefäßtonus kontraindiziert. Hirz stellte in Tierversuchen fest, daß der Droseraextrakt die Sekretion der Drüsen der Atmungswege unterstützt. Man könne ihn als ein energisches Solvens, das mit einer gewissen Reizfähigkeit verbunden sein soll, verwenden. Innerlich eingenommen soll Drosera eine Hyperämie der Bronchialschleimhaut bewirken, subkutan ruft sie eine starke lokale Reizung hervor, die auf den Ameisensäuregehalt zurückgeführt wird. Die rote Fleischfarbe der frischen Pflanze enthält einen Farbstoff Juglon, dessen physiologische Wirksamkeit noch nicht eindeutig geklärt ist. Wirksame Inhaltsstoffe sind u. a. auch Oxynaphthochinon und ein proteolytisches Enzym (letzteres bestritten).
Witanowski isolierte aus dem ätherischen Extrakte der Drosera neben 0,003% Benzoësäure eine Verbindung C11H8O3, die er Droseron nannte, und die zur Gruppe der Methyljuglone gehört.
Nach den neuesten Untersuchungen von Dieterle und Kruta ist dieses Droseron identisch mit dem Plumbagin der Plumbagoarten.
Pichet berichtet von einem im Institut Pasteur durchgeführten Versuch, Tbc.-Bazillen in Glyzerin, dem Drosera zugesetzt worden war, zu kultivieren. Es ergab sich, daß schon eine winzige Menge Drosera genügte, um jegliches Wachstum der Tbc.-Bazillen zu unterbinden.
Über die homöopathische Heilkraft des Sonnentaus äußert sich Hahnemann: „Vom Rundblattsonnenthau (Drosera rotundifolia) wissen wir nichts Gewisses weiter, als daß er Husten erregt, und daher in feuchten Katarrhalhusten sowie in der Influenza mit Nutzen gebraucht worden ist.“
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Drosera ist ein häufig angewandtes Mittel bei Pertussis und Krampfhusten auf nervöser Basis, das besonders bei nächtlicher Häufung der Anfälle hilfreich wirkt. Es sollte nur in geringen Dosen angewendet werden, da es in starken Dosen Verschlimmerung der Zustände hervorruft. Mit gutem Erfolge wird es so bei Kitzelhusten der Phthisiker, Bronchitis, Lungenkatarrh, Asthma bronchiale (hierzu schreibt Kleine, Wuppertal: In Verbindung mit Cuprum aceticum mein bestes Mittel gegen Asthma bronchiale-cardiale [immer nebeneinander], dazu kräftige Herzmittel, später Ipecacuanha, dann Bryonia), bei Zyanosis und Erstickungsanfällen, Pharyngitiden, chronischer Heiserkeit und Brustkrampf gegeben.
Außer bei den genannten obigen Hauptindikationen wird Drosera noch gelegentlich bei Gastropathien (Magenschwäche, nüchternem Erbrechen, Blähungen, Ruhr und nach Retschlag bei Heißhunger ohne Essensvermögen), bei Hydrops und Cystitis verordnet. Kraft, Pfeddersheim, empfiehlt es auch bei Skrofulose, und Wittlich läßt es bei Masern nehmen. Äußerlich wird es gegen Warzen gebraucht.
Als Wechselmittel werden am häufigsten Cuprum aceticum und Hyoscyamus genannt, doch können auch Eucalyptus und Cetraria recht gute Dienste tun.
Angewandter Pflanzenteil:
v. Haller kennt den Gebrauch des Krautes.
Nach Geiger waren früher die Blätter als Herba Rorellae seu Floris solis offizinell. Er gibt an, daß die Blätter durch das Trocknen ihren scharfen, adstringierenden Geschmack verlören.
Wasicky nennt die getrocknete Pflanze, Thoms das blühende Kraut.
Bei Zörnig findet die ganze, zur Blütezeit gesammelte getrocknete Pflanze Verwendung.
Die amerikanische homöopathische Pharmakopöe benutzt die ganze frische Pflanze.
Zur Herstellung der Zubereitungen empfehle ich die ganze frische, zur Blütezeit (Juli bis August) gesammelte Pflanze zu verwenden. Das „Teep“ hat den gleichen Ausgangsstoff, ebenso die homöopathische Urtinktur nach dem HAB. (§ 2).
Dosierung:
Übliche Dosis:
10-20 Tropfen der Tinktur dreimal täglich (Leclerc);
1 1/2-2 Teelöffel voll (= 2,1-2,8 g) zum heißen Infus täglich.
1 Tablette der Frischpflanzenverreibung „Teep“ vier- bis achtmal täglich.
(Die „Teep“-Zubereitung ist auf 50% Pflanzensubstanz eingestellt.)
In der Homöopathie:
Ø bis dil. D 1, dreimal täglich 10 Tropfen.
Maximaldosis:
Nicht festgestzt.
Rezepte:
Bei Pertussis:
Rp.:
Hb. Droserae conc. (= Sonnentaukraut) 30 D.s.: 1 1/2 Teelöffel zum heißen Aufguß mit 2 Glas Wasser, tagsüber zu trinkenOder (nach Kneipp):
Rp.:
Flor. Sambuci (= Holunderblüten) Hb. Droserae (= Sonnentaukraut) Hb. Plantaginis lanc. (= Spitzwegerichkraut) Flor. Violae tricol. (= Stiefmütterchenblüten) aa 25 C.m.f. species. D.s.: 2 Teelöffel auf 2 Glas Wasser vgl. Zubereitung von TeemischungenOder (nach Peyer):
Rp.:
Hb.: Droserae rotund. (= Sonnentaukraut) Fol. Castan. vesc. (= Edelkastanienblätter) aa 20 Fol. Eucalypti (= Eukalyptusblätter) 10 Hb. Thymi (= Thymiankraut) 30 Rad. Liquiritiae (= Süßholzwurzel) Hb. Plantaginis (= Wegerichkraut) aa 10 C.m.f. species. D.s.: 2 Teelöffel auf 2 Glas Wasser vgl. Zubereitung von TeemischungenBei Asthma bronchiale (nach Kroeber):
Rp.:
Hb. Polygalae amarae (= Kraut der Bitteren Kreuzblume) 10 Hb. Marrubii (= Andornkraut) 15 Hb. Potent. anser. (= Gänsefingerkraut) 15 Hb. Droserae (= Sonnentaukraut) 15 Hb. Chamaedr. (= Gamanderkraut) 20 Sem. Foeniculi (= Fenchelsamen) 25 C.m.f. species. D.s.: Zur Abkochung zwei- bis viermal täglich 1 Tasse. Zubereitungsvorschlag des Verfassers: 2 Teelöffel auf 1 Glas Wasser vgl. Zubereitung von TeemischungenGegen Tuberkulose
vgl. Tee-Rezept bei Galeopsis.Bei Keuchhusten (nach Villechauvaix):
Rp.:
Belladonnae D 1 gtt. XXV Droserae Ø gtt. XII Corallii rubri 0,5 Aquae 250im Wechsel mit:
Rp.:
Ipecacuanhae Ø gtt. XII Hyoscyami Ø gtt. XV Grindeliae robustae Ø gtt. XX Aquae 250 M.d.s.: Alle 2 Stunden 1 Eßlöffel voll im Wechsel.Potion antispasmodique (nach Hirz):
Rp.:
Aqu. Tiliae 80 Syr. Tolutani 40 Tct. Droserae gtts. XXX Tinct. Aconiti gtts. XV M.d.s.: Jede Stunde 10 Tropfen. _____________________________________ Inhaltsverzeichnis: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Gerhard Madaus (+ 1942), Ausgabe Leipzig 1938 Auf Bilder / Photos des Lehrbuches wurde wegen mangelnder Aktualität / Qualität verzichtet. Ebenso ist die Einführung in dieser Online-Version nicht vorhanden. Sie können hier ausschließlich auf die Besprechung der einzelnen Pflanzen zurückgreifen. Die Rezepturen werden in das Kompendium im Laufe der Zeit eingearbeitet. Vorhandene Fotos: Rechte beim Verlag erfragbar.