Schöllkraut, Papaveraceae.
Name:
Chelidónium majus L. (= Ch. luteum Gilib., = Ch. haematodes Moench, = Ch. ruderale Salisb., = Ch. murale Ren.). Gemeines Schöllkraut. Französisch: Eclaire, grandeclaire, herbe de Sainte Claire, herbe aux vernes, herbe de hirondelle, herbe aux boucs, felouque; englisch: Celandine, tellerwort, wollow-wort, devil’s milk, rock poppy; italienisch: Cinerognolle, erba da porri, erba nocca, erba donna, erba maistra, hirundinaria, celidonia; dänisch: Svaleurt, Selidon; litauisch: Ugniažolé; norwegisch: Svaleurt; polnisch: Glistnik; russisch: Czystotiel; schwedisch: Skelört; tschechisch: Vlaštovičník; ungarisch: Fecskefü.
Verbreitungsgebiet
Weiteres Vorkommen: Gemäßiqtes Asien. Im atlantischen Nordamerika eingeschleppt.
Namensursprung:
Chelidonium kommt vom griechischen χελιδν (chelidon) = Schwalbe. Nach Dioskurides hat die Pflanze ihren Namen entweder daher, weil sie mit dem Eintreffen der Schwalben blüht, oder weil die jungen blinden Schwalben mit dem Saft des Krautes von den Alten geheilt würden. Der deutsche Name Schöllkraut ist wohl eine Entlehnung aus dem griechisch-lateinischen chelidonium.
Volkstümliche Bezeichnungen:
In der Volksmedizin erfreut sich die Pflanze bzw. ihr Milchsaft großer Beliebtheit gegen Warzen, Krätze, „Afl“ = bayrisch-österreichische Bezeichnung des Rotlaufs und ähnlicher Hautentzündungen, Gelbsucht (signatura rerum!), Augenkrankheiten, Geschwulst: Warzenkraut (in den entsprechenden Dialektformen im Nieder- und Oberdeutschen weit verbreitet), Krätzenkraut (österreich), Fratzelnkraut = Warzen- (Rheinprovinz), Af(e)lkraut (Niederösterreich, Steiermark, Kärnten), Gel(w)sucht-Chrut (Schweiz), Oogenbläer (Ostfriesland), Nagel-Chrut, von = „Nagel“ = Flecken in den Augen (Schweiz), Wulstkraut (Anhalt), Geschwulstkraut (österreich). Im Niederdeutschen findet sich schließlich noch die Bezeichnung Schinnwatt (Mecklenburg), Schinefoot (Westfalen), Schinnkraut (Untere Weser), Schinnwuttel (Untere Weser), Schinnbläer (Stade).
Botanisches:
Die Pflanze ist in Europa häufig. Sie geht bis 62° 40′. Auch dem Mittelmeergebiet und dem gemäßigten bis subarktischen Asien gehört sie an. Standort: Besonders in der Nähe bewohnter Orte, unter Hecken, auf Schutt, in Gebüschen, an Wegrändern und oft in Mauerspalten. Sie ist ausdauernd, 30-50 cm hoch. Der stielrunde Stengel ist aufrecht und verzweigt, zerstreut abstehend behaart und hat wie die ganze Pflanze einen orangegelben Milchsaft, dessen Farbe beim Trocknen zum größten Teil verschwindet. Die zarten Blätter sind unterseits blau-, oberseits dunkelgrün. Die unteren sind buchtig-fiederteilig, die oberen fiederspaltig mit rundlichen oder eiförmigen, eingeschnitten-gekerbten Blattzipfeln. Die gelben Blüten stehen zu zwei bis sechs in lockeren Dolden. Blütezeit: Mai bis Oktober. Bei Regenwetter und zur Nachtzeit senken sich die Blütenstiele. Das Schöllkraut ist ein sog. „Ameisenwanderer“. An seinen kleinen, schwarzen Samen hängt eine weiße Samenschwiele, die von Ameisen gern gefressen wird, weshalb diese die Samen verschleppen und nach Abbeißen der Schwiele liegen lassen. So geraten die Samen auch in Mauerspalten senkrechter Mauern, wo sie keimen können.
Geschichtliches und Allgemeines:
Dem Chelidonium wurden schon im Altertum große Heilkräfte zugeschrieben. Theophrast kennt eine Pflanze „chelidonium“, nach Fraas ist es aber nicht anzunehmen, daß er Chelidonium majus damit gemeint hat. Dagegen dürfte sich das „große Chelidonium“ bei Dioskurides und Plinius mit unserem Chelidonium majus decken. Über die Heilkraft der Pflanze schreibt Dioskurides: „Der mit Honig gemischte und in einem ehernen Geschirr über Kohlen gekochte Saft dient zur Schärfe des Gesichtes. Die Wurzel, mit Anis und Weißwein getrunken, heilt die Gelbsucht und mit Wein als Umschlag Bläschenausschlag.“ Im Mittelalter war das Schöllkraut jedenfalls gut bekannt, denn in den althochdeutschen Glossaren findet sich sein Name häufig als scelli-, scella-, scellinwurz. Jedenfalls ist aus den Werken von Dioskurides und Plinius die Anwendungsweise der Pflanze in die mittelalterlichen Kräuterbücher übernommen worden. – Die Schule von Salerno schreibt:
„Schellkraut ist den Augen gesundt, Das wird uns von den Schwalben kundt.“Auch gegen Gelbsucht, Wechselfieber, Wassersucht fand es Verwendung. Den bitteren Saft gebrauchte man zur Herstellung eines Extraktes zum Vertreiben von Warzen. In der gelben Wurzel vermuteten die Alchemisten den Stein der Weisen. In Rußland dient der frische Milchsaft der Pflanze neuerdings auch gegen den Krebs. Die Dalmatiner legen das Kraut bei Fußgeschwüren und die Slowaken die frischen Blätter auf den geschwollenen Magen auf. – Eine ausführliche Beschreibung über die Rolle, die das Schöllkraut in der Medizin früherer Zeiten gespielt hat, bringt auch Peuten in seinem Buche „Johann Gottfried Rademacher, seine Erfahrungslehre und fünf vergessene einheimische Arzneipflanzen aus ihrem Heilmittelschatze“. U. a. weiß er zu berichten, daß Albrecht Dürer, der auf seiner niederländischen Reise im Jahre 1520 in Zeeland an Malaria erkrankte und seitdem an chronischer Malaria mit Milztumor und Leberschwellung langsam dahinsiechte, auch an sich die heilsame Wirkung des Schöllkrautes erfahren hat. Seinem Arzte sandte er ein Selbstbildnis, auf welchem er die schmerzende Stelle einzeichnete (vergl. Abbildung). Das in der Albertina befindliche Bildblatt des Chelidoniums zeugt von dem dankbaren Gedenken, das der Meister der Heilpflanze bewahrte.
(Aus dem reichillustrierten Werke von Eugen Holländer „Die Medizin in der klassischen Malerei“, Stuttgart 1923; mit freundlicher Genehmigung des Verlags Ferdinand Enke.)
Gelegentlich soll der Schöllkrautsaft auch als Köder beim Fisch- und Vogelfang benutzt worden sein. So zitiert Zaunick in seiner Arbeit „Die Fischerei-Tollköder in Europa vom Altertum bis zur Neuzeit“ eine Vorschrift, nach der Vögel, die Weizenkörner, welche drei Tage lang in Schöllkrautsaft geweicht hatten, gefressen haben, leicht zu fangen sein sollen.
Wirkung
Von der hl. Hildegard) wurde der Schöllkrautsaft zur „Reinigung von Speichel und Schleim“ verordnet,
von Paracelsus vorwiegend als Gallenmittel und gegen Gelbsucht. Bock schreibt, daß der „Schölwurtzsafft“ die verstopfte Leber öffne, die Gelbsucht vertreibe, äußerlich „ein köstliche augenartznei“ sei und Fisteln, Krebs, Wolf und Zahnschmerz heile.
Mit diesen Angaben stimmen die von Matthiolus überein, der außerdem auf die Verwendung des Milchsaftes gegen Warzen hinweist.
v. Haller rühmt die Wurzel hauptsächlich gegen Gelb- und Wassersucht, das Kraut als Wundkraut und zum Reinigen der Geschwüre. Das Wurzelpulver wurde mit gutem Erfolg als Anthelmintikum, Purgans, Diuretikum und Diaphoretikum, bei Augen- und Hautleiden, wie auch „bei nervenartiger Abzehrung“ gebraucht).
Vielseitige Wirkung schreibt Hecker der Chelidoniumwurzel und dem Kraut zu; er nennt als Indikationen: Wechselfieber (Linné heilte zwei Tertianfieber mit 1/2 Eßlöffel Saft, täglich zweimal genommen), chronische Krankheiten, die durch Stockungen und Atonie des Pfortadersystems entstanden sind, z. B. Ikterus, Hydrops (als Diaphoretikum und Diuretikum), Phthisis, Lithiasis, Arthritis urica, chronische Exantheme, venerische Krankheiten (venerische Ulzerationen, Gonorrhöe, Phimosis und Hodengeschwulst), Augenkrankheiten (Hornhautflecken, skrofulöse Augenentzündungen, grauen Star), Geschwüre und ödematöse Geschwülste.
Auch Hufeland machte häufig von Chelidonium Gebrauch, u. a. gegen Syphilis; sein Mitarbeiter Schaeffer wandte es gegen Ikterus nach Gichtanfällen an, und Wendt, Göttingen, berichtet über den großen Nutzen des Schöllkrautes bei Lues, hartnäckigen Quartanfiebern, Eingeweide-Verhärtungen im Unterleib, besonders der Leber, bei Ikterus, Geschwülsten, Exanthemen und Star.
Bei Obstipation, Hydrops, chronischen Drüsen- und Hautleiden, äußerlich bei unreinen atonischen Geschwüren und Fisteln wurde Chelidonium von Cazin) verordnet,
gegen Glottiskrampf der Kinder infolge von Leberleiden von Stifft). Eine große Rolle spielte das Schöllkraut im Arzneischatz Rademachers, der es als ein vorzügliches Leber- und Gallenmittel preist, mit dessen Hilfe Gelbsucht in einem Drittel der üblichen Zeit geheilt wurde, mit dem man aber „nicht zu freigebig umgehen“ dürfe, „wenn man seine wahrhaft wohltätige Wirkung sehen will“. Er verordnete es mit gutem Erfolg auch bei chronischen Lebererkrankungen, bei Leberleiden nach Ruhr, bei konsensuellen Brustaffektionen und bei Gesichtsneuralgien. Auf die Angaben der alten Ärzte stützt sich in neuerer Zeit Bohn), der außer der Einwirkung auf die Leber auch auf den Gebrauch bei Hornhautflecken (Einträufelung des stark verdünnten Saftes) an Stelle der ausländischen Paternostererbse hinweist.
Auch D. Schmaltz und K. Daniel haben sich neuerdings mit der Pflanze beschäftigt und fanden, daß sie ein Hauptmittel bei Cholecystitis und Icterus catarrhalis sei. Die Wirkung, die sie als Spasmolytikum entfaltet, ist nach ihrer Meinung nicht zu unterschätzen, zumal sie derjenigen von Belladonna nahekommen soll. (Der Vergleich mit Belladonna ist nach meiner Meinung nicht gerechtfertigt, da die beiden Pflanzen ganz verschiedene pharmakologische Angriffspunkte haben. Verf.)
Denissenko) sah Epithelioma durch perorale Darbietung von 1,5-5 g Schöllkrautextrakt und Injektionen mit einem Gemisch von Schöllkrautextrakt, Glyzerin und destilliertem Wasser zu gleichen Teilen um die Hälfte zurückgehen oder auch ganz verschwinden.
Trotz einiger günstiger Versuche von Robinson und Andrew haben aber die Untersuchungen von Schoemaker, Winter und Freudenberg gezeigt, daß diese Methode keine heilende Wirkung auf den Krebs hat, sondern nur den Geruch der Sekrete und die Hämorrhagien vermindert.
Nach Stickl vermögen die Schöllkrautalkaloide das Wachstum des übertragenen Mäusekarzinoms zu hemmen und den allgemeinen Krankheitsvorgang günstig zu beeinflussen.
Bei peroraler Verfütterung von Schöllkraut konnte ich allerdings keine wachstumshemmende Wirkung auf maligne Tumoren feststellen. Ebenso sah ich nach Injektionen des frischen Wurzelauszuges bei Mäusekarzinom keinen Erfolg.
Daß einer so heilkräftigen Droge natürlich auch die Volksmedizin Beachtung schenkt, zeigen schon die Ausführungen Osianders, und auch heute noch finden Kraut und Wurzel im Volke Anwendung bei arthritischen Leiden, Ikterus, Amenorrhöe, Tuberkulose, Intermittens, Karzinom und zum Aufstreuen auf schlecht heilende Wunden, Geschwüre und Fisteln.
In der russischen Volksmedizin wendet man nach Demitsch den Pflanzensaft gegen Cornealflecke und verschiedene Hautausschläge an, die Wurzel bei Zahnschmerzen und eine Krautabkochung bei Gelbsucht. Bei den Esten erfolgt die Anwendung bei Augenleiden in der Weise, daß der Pflanzensaft mit Hühnereiweiß gemischt wird und diese Mischung auf die verdunkelte Hornhaut aufgestrichen wird. Die Wirkung ist sehr schmerzhaft und führt oft zu einer heftigen Entzündung. Weiter wird das Schöllkraut als Styptikum und Abortivum benutzt. Gegen syphilitische Schmerzen werden täglich 2-3 Löffel des frischen Preßsaftes mit Honig genommen. Bei Mastitis und Milchknoten der Mammae macht man entweder Umschläge mit der in Milch gekochten Pflanze oder Kataplasmen aus den in Milch gekochten Blättern. In ähnlicher Zubereitung wird die Pflanze bei Krätze, Wunden und verschiedenen Hautkrankheiten äußerlich angewendet. Der Saft wird innerlich bei Nachtblindheit genommen. Die bei weitem üblichste Anwendung in Rußland ist die Behandlung und Beseitigung von Warzen und Hornhautflecken mit dem frischen Preßsaft.
Über die Verwendung in der tschechischen Volksmedizin gibt folgende mir von Dostál zur Verfügung gestellte Zusammenstellung eine Übersicht.
Nach Veleslavín (2) heilt das Schöllkraut die Gelbsucht, Lebererkrankungen und Pest. Der Aufguß wird außer gegen Gelbsucht auch gegen Milzleiden und als Umschlag bei roten Augen angewendet. Der Saft vertreibt Warzen, Fisteln und Krebs. Mit dem Aufguß werden Ekzeme und Krätze gewaschen, Zahnschmerzen beruhigt und zu starke Menstruation (2) reguliert. Der Schöllkrautsaft ist ein verbreitetes Mittel zur Entfernung der Warzen (3). Als Umschläge wird er auf Schnittwunden gebraucht (4), weil er Blut stillt (3, 5), auf Geschwülste wird das Schöllkraut mit Brennesseln aufgelegt (Schlesien) (5). Die Schöllkrautmilch stillt Zahnschmerzen (6), reinigt die Zähne (3). Mancherorts wurde mit Schöllkraut nicht nur Krebs behandelt, sondern auch eitrige Wunden wurden gereinigt und Krätze beseitigt (6). Wie schon alte Autoren angeben, reinigt Schöllkraut das Auge (2, 6). In der Slowakei legen die Leute Schöllkraut auf erkrankte Augen und glauben, daß sogar auch die Blindheit damit geheilt wird (7).
Literatur: (2) Veleslavín 1596, 204 A; (3) Vyhlídal, Malůvky z Hané 47, 51, 106; (4) Novotný 1895, 103; (5) Svěrák, Věst. Mat. Opav. 1901, č. 9, 21; (6) č. Zíbrt, Vavák, čL. XVII. 288; (7) Staňak, Z lékárně slov. ludu, čL. XXVIII. 324.
Wie Künzle berichtet, ist es bei Verlust des Geruchsinnes günstig, den Saft von Chelidonium in die Nase einzuziehen.
Nach einer persönlichen Mitteilung von Schöfer, Graz, soll der Chelidoniumextrakt angeblich gegen Lepra wirksam sein.
Die von Orfila bezüglich der Giftigkeit von Chelidonium angestellten Versuche ergaben Auftreten von Brechreiz, starke Verminderung des Bewegungsvermögens, Anästhesie, Hyperämie der Magenschleimhaut und der Lungen.
Chelidonium wirkt also auf den Magendarmkanal und das Zentralnervensystem, verursacht Nausea und Magendrücken, in großen Dosen Vomitus, blutende Phlyctänen im Munde, Diarrhöe, die u. U. blutig ist, Hämaturie, Tenesmus vesicae, Brennen der Urethra, eitrige Exantheme, ferner Vertigo und Somnolenz.
Nach Injektion von Extr. Chelidonii kam es nach 1 1/2 Stunden zum Exitus unter Schmerzen, Unruhe, Fieber und Bewußtlosigkeit.
Die Schöllkrautwurzel enthält u. a. die Alkaloide Chelerythrin, Chelidonin, α-, β- und γ-Homochelidonin, Protopin und Sanguinarin, ferner den Farbstoff Chelidoxanthin, der beim Trocknen der Droge fast ganz verloren geht und mit Berberin identisch sein soll. Das Kraut enthält auch ätherisches Öl.
Das Chelerythrin wirkt reizend und entzündungserregend auf Haut und Schleimhaut und ruft Blasenbildung, u. U. hämorrhagische, hervor. Es bewirkt an Kalt- und Warmblütern zentrale, absteigende, motorische Lähmung, Lähmung der Respiration, der vasomotorischen Zentren und des Herzens, Starre der direkt betroffenen Muskeln und Reizung der sensiblen Nervenendigungen.
Das Chelidonin ist nach Ley ein morphinähnliches Gehirngift, welches Ataxie, Analgesie und Stupor erzeugt und sich vom Morphin in Versuchen am Kaltblüter durch das Fehlen von Reflexkrämpfen unterscheidet, während solche am Kaninchen nach intravenösen Injektionen beobachtet wurden.
Anan sah zunächst starke Erregung des Kaninchenuterus, nach höheren Konzentrationen zeigten sich Lähmungen. Bezüglich der Wirkung auf das Herz konnte bei Kaltblütern eine Herabsetzung der Zahl der Herzkontraktionen bis zum systolischen Herzstillstand beobachtet werden, wobei die Reizbarkeit des Herzmuskels erhalten blieb. Bei Warmblütern vermindert Chelodonin die Pulszahl, bleibt aber auf den Blutdruck ohne Einfluß. Es lähmt die sensiblen Nervenendigungen und beeinflußt vor allem die Muskulatur des Magendarmkanals, indem es die glatten Muskeln lähmt und dadurch die Darmperistaltik hemmt.
Das α-Homochelidonin hat morphinartige narkotische Wirkung, führt zu absteigender Lähmung und lähmt lokal die Sensibilität. Das Herz wird weniger als von Chelidonin ergriffen. Auch das β-Homochelidonin wirkt narkotisierend. Die beobachteten Herzlähmungen sind schwächer als durch Chelidonin. Die lokale Sensibilitätslähmung ist stärker als beim α-Homochelidonin.
P. J. Hanzlik fand, daß das Chelidonin in seiner chemischen Konstitution und seiner physiologischen Wirksamkeit dem Papaverin ähnele. Unter seinem Einfluß kann man eine Verminderung der Kontraktions-fähigkeit der glatten Muskulatur, eine Verlangsamung des Pulses und ein Herabsinken des Blutdruckes beobachten. Seine Anwendung würde nach demselben Autor demnach zweckmäßig sein bei Angina pectoris, Asthma, gastrischer Hypertonie, überhaupt bei allen den Affektionen, die durch Krämpfe der glatten Muskulatur bedingt sind.
Nach Leclerc läßt sich aus diesen Beobachtungen die schmerzlindernde Wirkung des Chelidoniums bei Magenkarzinom erklären. Weiter schreibt er, daß in Anbetracht der Schmerzen, die eine Injektion mit Schöllkrautsaft hervorruft, es besser sei, das Chelidonium peroral zu geben.
H. Koopmann berichtet in der Fühnerschen Sammlung von Vergiftungsfällen von einer tödlichen Chelidoniumvergiftung. Ein 4jähriger Knabe hatte im Walde Sauerampfer und andere Gräser gegessen. Am nächsten Tage hatte er Kopfschmerzen und Schlafbedürfnis, am Nachmittag Kollaps mit hohem Fieber (40 Grad). Der Kopf war nach links gedreht und wurde bei Lagenwechsel immer wieder nach links gedreht. Keine Arhythmie, keine peritoneale Reizung, kein Milztumor. Reflexe vorhanden, keine Ödeme, schleimige, leicht blutige Durchfälle, am folgenden Tage gegen Mittag wurde die Atmung frequenter, das Kind starb im Kreislaufkollaps. Der Sektionsbefund ergab hochgradige Enteritis und Colitis membranacea, der histologische Befund neben Hyperämie der Lunge, Nieren, Milz, des Thymus, der Schilddrüse, des Herzmuskels und Hyperplasie aller Lymphapparate, ödematöse Quellung der Nierenepithelien und fettige Degeneration der Leberzellen. Daß es sich um eine Schöllkrautvergiftung handelte, wurde u. a. dadurch bewiesen, daß ein Auszug aus dem Dünndarminhalt starkes gelbes Aufleuchten im ultravioletten Lichte zeigte, eine Reaktion, die für Chelidonium und pharmazeutische Chelidoniumzubereitungen charakteristisch ist.
Über die pharmakologische Wirkung von Sanguinarin vgl. das Kapitel Sanguinaria.
Nach Meyer beruht die toxische Wirkung des Schöllkrautes, wenn von einer solchen überhaupt die Rede sein dürfe, nicht auf dem Alkaloidgehalt, sondern wohl auf harzigen Stoffen, die im Milchsaft der Pflanze vorhanden sind.
Die Alkaloide des Schöllkrautes haben in Form ihrer neutralen Salze stark bakterizide Wirkung (in einer Verdünnung von 1 : 1000); das im Kraut enthaltene Chelidoxanthin wirkt besonders bakterizid gegenüber Milzbrandbazillen und Staphylokokken.
Verträglichkeitsprüfung am Gesunden:
6 Prüflinge nahmen auf meine Veranlassung Chelidonium „Teep“ in steigenden Dosen (von „Teep“ D 2 bis „Teep“ 0). Bei „Teep“ D 2 und D 1 wurden keine Erscheinungen beobachtet und auch bei „Teep“ 0, 3 Kapseln an einem Tage (= 1 g Pflanzensubstanz) nur bei einem von 6 Prüflingen Augenflimmern.
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Dänemark: Innerlich gegen Gelbsucht und Wassersucht; äußerlich gegen Warzen, Gesichtsunreinigkeiten, Hühneraugen, Wunden und Zahnschmerz.
Italien: Gegen Hydrops.
Litauen: Äußerlich gegen Warzen und Hühneraugen.
Norwegen: Innerlich gegen Gelbsucht; äußerlich gegen Sommersprossen, Krätze und Augenschwäche (I. R.-K.).
Polen: Gegen Warzen.
Ungarn: Gelbsucht, Sehtrübung, als Laxans und Wundmittel.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Chelidonium ist ein bevorzugtes Mittel bei Leber- und Gallenstörungen. Es wird demnach verordnet bei Leberschwellung (ein Beispiel für die Anwendung siehe nächste Seite), nicht hämatogen oder durch Gallenverschluß bedingten Ikterus (in einem hämatogen bedingten Ikterus beobachtete Kleine, Wuppertal, keinen Erfolg), Cholelithiasis (bei Gallensteinkolik ist ein Wechsel mit Berberis besonders angezeigt), Gallengrieß, bei biliösem Kopfschmerz, Hypochondrie und bei Gastropathien (Gastritis, Enteritis, Diarrhöe, Dyspepsie), Milzschwellung und Asthma auf hepathogener Basis.
Donner, Berlin, der das Schöllkraut bei Cholecystopathien mit nach dem Rücken und Schulterblatt ausstrahlendem Schmerz empfiehlt, schreibt hierzu, daß begleitende Durchfälle zur Indikationsstellung nicht notwendig seien, sondern daß es auch bei Gallensteinkranken mit Obstipation wirke. – Bei benignen Erkrankungen der Gallenblase und der Zu- und Abführungswege ohne Koliken mit dumpfem Schmerz gibt man mit unverkennbar gutem Erfolg Chelidonium kontinuierlich im Wechsel mit Carduus marianus.
Besonders gern verordnet Brand, Kolberg, Chelidonium in zweistündlichem Wechsel mit Calcarea carb. korpulenten, an Gallenstauungen leidenden Patienten.
Charakteristisch für die Mittelwahl der Homöopathie bei Leberkrankheiten sind die bekannten Symptome: Dumpfer Schmerz unter dem rechten Schulterblatt, trockene, juckende Haut und meist hellgelbe oder tonfarbige Stühle.
Neubert, Dresden, stellte in mehreren Fällen fest, daß Chelidonium „Teep“ D 2, 3-4 Tabletten täglich, ganz ausgezeichnet bei Hyperemesis gravidarum wirkt. Die homöopathische Tinktur war weniger wirksam.
Reuter, Greiz, gelang es, bei Magenkarzinom durch regelmäßige Verordnung der Tct. Chelidonii Rademacheri dreimal täglich 10 Tropfen die Schmerzen zu beseitigen, und Witzel, Wiesbaden, bezeichnet Chelidonium direkt als Krebsmittel. Auch Brendel hält es bei kanzeröser Dyskrasie des Magens und der Leber für „sehr gut“, zwei- bis dreimal wöchentlich ein Blättchen Chelidonium abwechselnd mit einem Calendulablatt fein zu zerkauen.
Weiter wird Chelidonium auch als Diuretikum, bei Harnsäure-Dia-these, chronischem Rheuma, Gicht, Nierenwassersucht, Pfortaderstauungen, Hämorrhoiden und Skrofulose, seltener bei Erkrankungen der Respirationsorgane, wie Pneumonie, Asthma bronchiale, Schwindsucht, Bronchitis, Pertussis und Tussis, empfohlen. Gelegentlich wird es auch bei mit Hepatopathie verbundener Amenorrhöe gewählt.
Urbatis, Halle, verordnet es bei Augenschwäche, und Wittlich nennt es gegen Grippe (diese Indikation wird auch von anderer Seite bestätigt). Schließlich machte Dorn günstige Erfahrungen bei Ohrenschmerzen.
Recht beliebt ist auch die äußerliche Anwendung des Milchsaftes und der Salbe gegen Warzen, Hühneraugen, Psoriasis, Hautkrebs, Sommersprossen, Lupus und Wunden. Allerdings schreibt mir Dieterich, Stuttgart, daß er bei Warzen nie einen Erfolg gesehen habe.
Als Wechselmittel bei Erkrankungen der Leber und Galle wird, wie schon an einer Stelle erwähnt, besonders Carduus marianus empfohlen, doch werden u. a. auch Podophyllum, Fel Tauri Oligoplex, Dolichos Oligoplex und Yucca Oligoplex genannt.
+) Beispiel für die Anwendung:
(Nach Rademacher, „Erfahrungsheillehre“, Bd. 1. S. 174, 1851.)
„Einst kam ein geringer Mann vom Rheine zu mir, der die Gelbsucht in hohem Grade hatte. Auf meine Frage, ob er schon Arznei gebraucht, antwortete er: bloß ein Hausmittel habe er gebraucht, nämlich den Saft von Schellkraut, viermal tags einen Fingerhut voll. Sein Übel sei aber, statt besser zu werden, schlimmer geworden; denn seit 14 Tagen, wo er dieses Mittel gebraucht, sei das Hellgelb seiner Haut in Dunkelgelb verändert, daß er dem Handel nicht mehr traue und deshalb meine Hilfe begehre. Ich gab diesem Manne eine Unze (= 30 g) Schellkrauttinktur und ließ ihn fünfmal tags fünfzehn Tropfen jedesmal nehmen. Als die Unze verzehrt war, kam er abermals zu mir, und ich hörte von ihm, daß der freie Erguß der Galle in den Darmkanal wieder hergestellt sei, denn seiner Aussage nach waren seine Exkremente wieder braun. Ich gab ihm jetzt noch eine Unze Tinktur mit der Vorschrift, nur viermal tags davon zu gebrauchen, bis die gelbe Farbe der Haut ganz verschwunden sein würde. Die gänzliche Herstellung ist auch ohne weiteren Anstoß erfolg!X!.
Dieser Fall, der übrigens nichts Merkwürdiges enthält, ist darin lehrreich, daß er beweist, die wohltätige Wirkung des Schellkrautes sei nur dem Arzte sichtbar, der es in passender Gabe anzuwenden versteht.“
Das obige Beispiel ist hauptsächlich im Hinblick auf die wohl auch von Rademacher erkannte umkehrende Wirkung des Schöllkrautes zitiert worden.
Angewandter Pfanzenteil:
Da der gelbe Milchsaft sich in allen Teilen der Pflanze findet, geben fast sämtliche Literaturquellen von den mittelalterlichen Kräuterbüchern an bis zu den zeitgenössischen Autoren die ganze Pflanze zur Gewinnung der wirksamen Stoffe an. Nur bei Rademacher sowie Buchheister und Ottersbach wird das frische Kraut allein genannt, und Meyer verordnet Herba Chelidonii. Friedrich, der übrigens die Wurzel für wirksamer erachtet als das Kraut, läßt dieses im Mai, jene im April sammeln. Meist wird angegeben, daß die Pflanze kurz vor oder während der Blütezeit eingetragen werden soll. Die günstigste Sammelzeit dürfte demnach April und Mai sein, doch können auch nicht blühende (junge) Pflanzen im Herbst verwendet werden.
Das „Teep“ wird aus der frischen Pflanze mit der Wurzel bereitet, da ja auch in dem Kraut Alkaloide, Chelidoxanthin und ferner etwas ätherisches Öl enthalten sind. Homöopathische Essenz nach dem HAB.: Frische Wurzel (§ 3).
Dosierung:
Übliche Dosis:
1,8-7,5 g des Saftes (Hecker);
10-20 Tropfen der Essenz drei- bis viermal täglich (Bohn).
1 Tablette der Frischpflanzenverreibung „Teep“ dreimal täglich.
(Die „Teep“-Zubereitung ist auf 50% Pflanzensubstanz eingestellt, d. h. 1 Tablette enthält 0,125 g Hb. Chelidonii c. rad.)
Bei einem Gesamtalkaloidgehalt der frischen Pflanze von 1,0%, bezogen auf Trockensubstanz, enthält 1 Tablette zu 0,25 g (entsprechend 0,125 g Hb. Chelidonii c. rad.) 1,25 mg Alkaloide.
In der Homöopathie:
dil. D 3-Ø.
Maximaldosis:
Nicht festgesetzt, doch können größere Gaben Vergiftungserscheinungen (s. Wirkung) hervorrufen.
Rezepte:
Bei Magenkrebs zur Schmerzbeseitigung:
Rp.:
Tinct. Chelidonii Rademacheri 30 D.s.: Dreimal täglich 10 Tropfen.Bei Erkrankungen der Leber und Galle (nach Meyer):
Rp.:
Fol. Agrimoniae eupatoriae (= Odermennigkraut) Cort. Frangulae (= Faulbaumrinde) Fol. Melissae officinalis (= Melissenblätter) Fol. Menthae piperitae (= Pfefferminzblätter) Herb. Chelidonii majoris (= Schöllkraut) aa 20 M.f. species. D.s.: 1 Eßlöffel auf 1 Tasse Wasser aufgießen. Früh und abends 1 Tasse trinken. Zubereitungsvorschlag des Verfassers: 1 Teelöffel auf 1 Glas Wasser vgl. Zubereitung von TeemischungenBei Ikterus
Rp.:
Herba Chelidonii majoris 20 (= Schöllkraut) D.s.: Vgl. Teezubereitung.Bei Lungenschwindsucht (nach Thibaud):
Rp.:
Rad. Chelidonii rec. conc. 60-90 digere cum spiritu 500 per dies septem, colare. D.s.: Dreimal täglich 1 Teelöffel voll zu nehmen. _____________________________________ Inhaltsverzeichnis: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Gerhard Madaus (+ 1942), Ausgabe Leipzig 1938 Auf Bilder / Photos des Lehrbuches wurde wegen mangelnder Aktualität / Qualität verzichtet. Ebenso ist die Einführung in dieser Online-Version nicht vorhanden. Sie können hier ausschließlich auf die Besprechung der einzelnen Pflanzen zurückgreifen. Die Rezepturen werden in das Kompendium im Laufe der Zeit eingearbeitet. Vorhandene Fotos: Rechte beim Verlag erfragbar.