Mariendistel, Compositae.
Name:
Silýbum mariánum (L.) Gaertn. (= Carduus marianus L., = Mariana mariana [L.] Hill.). Mariendistel, Mergen-, Frauen-, Milch- oder Silberdistel. Französisch: Silybe, chardon Marie, lait de Notre-Dame, chardon argenté, épine blanche; englisch: Milk-thistle, lady’s milk, holy thistle, St. Mary’s thistle; dänisch: Marietidsel; italienisch: Carduo mariano; norwegisch: Mariatistel; polnisch: Ostropest; russisch: Ostro-piestro; tschechisch: Ostropestřec obecný; ungarisch: Máriatövis.
Verbreitungsgebiet
Weiteres Vorkommen: Madeira, Kanarische Inseln. Eingebürgert in Mitteleuropa, Nord- und Südamerika, Südaustralien.
Namensursprung:
Carduus ist bei den alten Römern die Bezeichnung für eine Distelart. Der Beiname marianus und der deutsche Name Mariendistel weisen auf eine alte Legende hin, nach der die weißen Streifen auf den Blättern von der Milch der Muttergottes herrühren sollen.
Volkstümliche Bezeichnungen:
Christi Krone (Westfalen: Rheine), Heilandsdistel (Vogtland), Gottesgnadechrut (Zürichsee). In der Volksheilkunde gelten die Früchte als ein wirksames Mittel gegen Seitenstechen, daher die niederdeutschen Benennungen Stekkrût, Stekkürn, Stekköörn, Stichkürn, in Ost- und Westpreußen (die Früchte) Stichsamen.
Botanisches:
Die wärmeliebende, einjährig überwinternde oder zweijährige, 1 1/2 m hohe Pflanze ist auf sonnigen, trockenen Steinhängen und auf Dungplätzen Südeuropas und Nordafrikas zu finden. In Steppengebieten kann sie bis zu 6 Fuß hohe „Distelwälder“ bilden. Vorübergehend tritt sie auch in der Nähe von Bahnhöfen auf. Als Kulturbegleiter ist sie heute in die trockenen Gebiete Südamerikas und Südaustraliens eingedrungen. – Der aufrechte, ästige, leicht wollig-spinnwebige, bräunlich glänzende Stengel ist im unteren Teile reich mit glänzendgrünen, entlang der Nerven weißlich gefleckten, länglich-elliptischen, buchtig gelappten Laubblättern besetzt, die kräftige gelbe Dornen tragen. Am Ende des Stengels bzw. Astes sitzt einzeln der aufrechte oder etwas nickende, große Blütenkopf mit purpurnen Blüten. Die braunfleckigen Früchte tragen glänzendweiße Pappushaare. Blütezeit: Juli bis August. – Nach Kerner bilden die stark gewellten Laubblätter vorzügliche Regenrinnen zur Ableitung des Wassers in den Wurzelbereich.
Geschichtliches und Allgemeines:
Die Mariendistel war schon im Altertum bekannt und wird von Theophrast unter dem Namen Pternix erwähnt. Sie ist das Silybum des Dioskurides, welcher ihre Wurzel mit Honigmeth getrunken als Vomitivum empfiehlt. Plinius dagegen schätzt das Silybum weder als Speise noch als Arzneimittel. In Mitteleuropa ist die Mariendistel nach Hegi wohl als Heilpflanze eingeführt worden. Hegi hält die Annahme, daß sie schon im altgermanischen Zeitalter in Deutschland bekannt und der Freia heilig gewesen ist, für sehr unwahrscheinlich. Die Pflanze wird von der hl. Hildegard als Carduus marianus unter den kultivierten Heilpflanzen genannt. Gebraucht wurden die Wurzel, das Kraut und die Früchte. Letztere waren als Fructus Cardui Mariae offizinell und haben sich am längsten in der Radermacherschen Tinct. Cardui mar. erhalten. Die Wurzeln und Blätter wurden u. a. gegen Fieber, Wassersucht und als Emmenagogum, die Samen, auch Stechkörner genannt, gegen Brustkrankheiten gebraucht.
Einem Volksglauben zufolge darf die stachlige Pflanze nicht auf dem Ofen einer Wirtsstube aufbewahrt werden, da sonst unter den Gästen unbedingt Streit ausbricht.
Wirkung
Bei Lonicerus findet der Mariendistelsamen Anwendung als zusammenziehendes Mittel, gegen Seitenstechen und Freysen der Kinder.
Auch Matthiolus nennt Seitenstechen, außerdem Pestilenz als Indikationen, im übrigen aber verwendet er vorwiegend die Wurzel, die diuretisch, emmenagog und nierensand- und -steintreibend, galaktagog, öffnend und – äußerlich angewandt – gegen Zahnweh wirken soll.
v. Haller lobt das Kraut gegen Seitenstechen, alle Gebrechen der Leber, Weißfluß und als Breiumschlag gegen beginnenden Brust- und Nasenkrebs; die Samen gegen „hizige Fieber, wo man noch einigen gelinden Schweiß erhalten will“.
Der Marien- oder Frauendistelsamen ist das vielgerühmte Lebermittel Rademachers, der ihn bei chronischen Leber- und Milzleiden, akuter Hepatitis mit Seitenstechen, Husten, blutigem Auswurf, bei Ikterus, Gallensteinkolik und chronischer Menorhagie mit großem Erfolg anwandte.
Auch Kissel, der bedeutendste Vertreter der Rademacherschen Schule, bestätigt die Heilwirkung bei akuten und chronischen Leber- und Milzaffektionen durch verschiedene Krankheitsberichte aus eigener Praxis.
Grävell, Brenschedt und Lobach wandten die Samen zur Anregung der Pfortaderzirkulation und der Gallensekretion an bei abdominellen Blutstockungen und deren Folgeerscheinungen: Ikterus, Hämorrhoiden, schwacher oder übermäßiger Menstruation usw.
Reil stellte allerdings stopfende, Kopfweh und leichte Benommenheit verursachende Wirkung fest.
Schulz konnte bei Nachprüfung die Rademacherschen Angaben bestätigen und empfiehlt die Mariendistel bei „den eigenartigen, ursächlich nicht immer klar zu deutenden, besonders bei Frauen wiederholt auftretenden Schmerzanfällen in der oberen Partie des Colon ascendens und der Lebergegend, wie auch bei ausgesprochener Cholelithiasis“.
Bei Versuchen, die mit der Tinktur von Carduus marianus angestellt wurden, konnten nach Westphal erst Hemmung des Gallenabflusses durch Motilitätshemmung, dann starke Anregung festgestellt werden.
Leclerc setzt die Mariendistel in ihren Wirkungen dem Benediktenkraut gleich und erwähnt, daß den Samen eine blutdrucksteigernde Eigenschaft zugesprochen wird.
Nach Meyer kann die Tinktur aus den Samen der Mariendistel bei Gelbsucht und Gallensteinleiden manchmal mit Erfolg angewandt werden. Als hauptsächlich wirksame Bestandteile enthält der Same Gerbstoff, Amine und Tyramine.
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Ungarn: Gegen Zahnschmerzen und als zerteilendes Mittel bei Geschwülsten.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Carduus marianus ist ein Hauptmittel bei Hepato- und Choleangiopathien, insbesondere bei Leberschwellung*) und -stauung (Leber sehr druckempfindlich, häufig Urobilinogen, selten Urobilin im Harn), Hepatitis, Cholelithiasis mit Koliken (Janke sah nach Steinaustreibung keine Neubildung von Steinen mehr), Ikterus, Cholangitis, Milzleiden, bei durch Erkrankungen der Leber bedingten Kopfschmerzen, Übelkeit, Migräne, Schlaflosigkeit und Asthma, ferner bei Hämorrhoiden, Meteorismus und Obstipation. E. Meyer, Berlin, sah auch gute Erfolge bei Lebererkrankung nach Salvarsan.
Sehr gute Erfolge sind weiter mit Carduus marianus bei Varizen und Ulcus cruris*) erzielt worden. Bei Varizen empfiehlt Donner, Berlin, den Wechsel mit Calcium fluoratum, das noch besser auf den Tonus der Venenwandungen wirke. Er hat mit vielen anderen (Mattern, Pöller) mit dieser Behandlung häufig gute Resultate gehabt, so wurde ein Spinnereiarbeiter, der 1 1/2 Jahre über Schmerzen durch Venenerweiterung klagte, in wenigen Tagen durch die Verabreichung von 5 Tropfen Carduus mar. Ø morgens und zweimal 1 Tablette Calcium fluoratum D 6 nachmittags schmerzfrei. Dagegen schreibt mir Schleihauf, Freiburg, daß Carduus Varizen nicht zum Verschwinden bringe. In schweren Fällen dürfte man ohne starkes Hautbürsten nicht auskommen. K. Bischoff, Berlin, nennt es ein vorzügliches Herzmittel bei Lebererkrankungen. Schließlich werden als Indikationen mir noch empfohlen: Hydrops, auch Aszites, von der Leber ausgehend, Nasenröte (E. Stieber lobt es hier sehr), Schwindel, Magenleiden, Bauchspeicheldrüsenerkrankung, Amenorrhöe, Husten mit Seitenstechen, Fieber, Vermes und Hautjucken. Mußler, Wiesbaden, beobachtete, daß bei Personen, die an Stirnhöhlenvereiterung operiert waren, und bei denen im Anschluß an die Operation der Abflußgang gesperrt war, jedesmal nach Einnahme von Lebermitteln, z. B. auch nach Carduus marianus, stärkere Sekretabsonderung mit heftigen Stirnkopfschmerzen eintrat.
M. Schlegel, Lindau, sah nach Verordnung von Carduus marianus D 2 Besserung bei intermenstruellen, regelmäßigen Schmerzen im Unterleib. Auch bei habitueller Migräne wandte er das Mittel in Ø-D 2 erfolgreich an. Außerdem nennt Fröhlich Carduus gegen Kachexie der Bergarbeiter (Bergsucht). (Auch von anderer Seite wird es hier als das einzig wirksame Mittel bezeichnet.) Er verordnete hier vier- bis fünfmal täglich 5 Tropfen der Urtinktur.
Bevorzugte Wechselmittel sind: Chelidonium, Lycopodium, Nux vomica, Calc. fluor. und Natrium sulf.
Das Mittel wird häufig als Urtinktur gegeben, doch ist, falls Neigung zu Diarrhöe besteht, D 2-4 vorzuziehen.
+) Beispiel für die Anwendung:
(Nach Burnett, zit. bei Clarke, A. Dict. of pract. Mat. med., S. 418.)
I. Ein 16jähriges Mädchen litt während dreier Monate an heftigen Erbrechen mit gleichzeitigen Schmerzen im Abdomen. Das Erbrechen konnte durch Darreichung verschiedener Medizinen günstig beeinflußt werden, die Schmerzen dagegen nicht. Die Untersuchung ergab starke Vergrößerung der Leberund Milz. Die Verordnung von Carduus marianus 5 Tropfen der Urtinktur morgens und abends zu nehmen, brachte schnelle Heilung.
II. E. R., Hausfrau, 43 Jahre alt. Schmerzendes, juckendes, rezidivierendes Ulcus am rechten Unterschenkel von etwa 13 cm Durchmesser. Siebenwöchige Behandlung mit Carduus marianus Ø, Höhensonne und Verband mit Pyoktanningaze und Varicosanbinde. Später wurde noch Acid. hydrofl. Oligoplex und Symphytum Oligoplex gegeben. Patientin ist seit Jahresfrist beschwerdefrei.
Angewandter Pflanzenteil:
Matthiolus und Lonicerus nennen in erster Linie die Wurzel, ferner den Samen, dem sie vor den Blättern den Vorzug geben.
Nach v. Haller wurden hauptsächlich das Kraut und die Samen gebraucht. Rademacher rühmt die Samen, ebenso Schulz.
Nach Geiger waren im 19. Jahrhundert noch die Samen, früher auch das Kraut und die Wurzel, Semen, Herba et Radix Cardui Mariae, offizinell Zörnig nennt nur die Samen.
Als wirksame Substanz für die Bereitung der Arzneimittel kommen die reifen, im Herbst geernteten Samen in Betracht. Auch das „Teep“ wird so bereitet. Homöopathische Urtinktur: Reife Samen (Arzneigehalt 1/3).
Dosierung:
Übliche Dosis:
1 Teelöffel des Pulvers vier- bis fünfmal täglich (Rademacher).
15-30 Tropfen der Tinktur (Rademacher).
1 Teelöffel voll der Frischpflanzenverreibung „Teep“ dreimal täglich.
(Die „Teep“-Zubereitung ist auf 50% Pflanzensubstanz eingestellt.)
In der Homöopathie:
dil. D 1, dreimal täglich 10 Tropfen.
Maximaldosis:
Nicht festgestzt.
Rezepte:
Bei Leber-, Milz- und Gallenleiden (nach Rademacher):
Rp.:
Sem. Cardui mar. cont. 30 (= Mariendistelsamen) D.s.: Mit 1/2 l Wasser auf die Hälfte einkochen lassen. Stündlich 1 Eßlöffel zu nehmen.Oder:
Rp.:
Tinct. Sem. Cardui mariani Rademacheri 30 D.s.: Zweimal täglich 15 Tropfen.Bei Gallen- und Leberleiden (nach Kroeber):
Rp.:
Sem. Cardui 30 (= Mariendistelsamen) Hb. c. Rad. Taraxaci (= Kraut m. Wurzel vom Löwenzahn) Rad. Cichorii intybi aa 40 (= Wegwartenwurzel) C.m.f. species. D.s.: 1 Eßlöffel auf 1 Tasse Wasser aufgießen, zweimal täglich 1/2 Stunde vor dem Essen 1 Tasse zu nehmen. Zubereitungsvorschlag des Verfassers: 2 Teelöffel voll auf 1 1/2 Glas Wasser vgl. Zubereitung von Teemischungen_____________________________________ Inhaltsverzeichnis: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Gerhard Madaus (+ 1942), Ausgabe Leipzig 1938 Auf Bilder / Photos des Lehrbuches wurde wegen mangelnder Aktualität / Qualität verzichtet. Ebenso ist die Einführung in dieser Online-Version nicht vorhanden. Sie können hier ausschließlich auf die Besprechung der einzelnen Pflanzen zurückgreifen. Die Rezepturen werden in das Kompendium im Laufe der Zeit eingearbeitet. Vorhandene Fotos: Rechte beim Verlag erfragbar.