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Echter Beifuß, Compositae.

Name:

Artemísia vulgáris L. Echter Beifuß, Fliegenkraut. Französisch: Armoise, herbe à cent goûts, couronne de Saint Jean, tabac de Saint Pierre; englisch: Mugwort, bulwand wormwood, midge-wormwood, motherwort, fellow herb, sailors tobacco; italienisch: Amarella, assenzio selvatico, canapaccia; dänisch: Bynke; polnisch: Bylica; russisch: Czernobylnik; tschechisch: Pelyněk černobýl; ungarisch: Fekete ürom.

© Gisa, Beifuß, Pflanze

© Gisa, Beifuß, Pflanze

© Gisa, Beifuß, Blütenstand

© Gisa, Beifuß, Blütenstand

 

Verbreitungsgebiet

Weiteres Vorkommen: Nordamerika. Asien (von Kamtschatka bis Vorderindien)

Namensursprung:

Der Name Artemisia wird bei Dioskurides und Plinius für Artemisia vulgaris und verwandte Arten verwendet. Er ist angeblich von der Göttin Artemis Ilithya (Geburtshelferin) wegen der Verwendung der Pflanze bei Frauenkrankheiten abgeleitet. Nach einer anderen Auslegung stammt er allerdings von Artemisia, der heilkundigen Gemahlin des carischen Königs Mausolus. Der Name Beifuß wird von Grimm zu althochdeutsch bózan = schlagen gestellt, weil das Kraut als Gewürz zu Speisen geschlagen oder gestoßen wurde. Nach einer anderen Auslegung wird er mit „Fuß“ in Verbindung gebracht, da nach einem alten Aberglauben die Pflanze, an den Fuß gebunden, vor Müdigkeit schützen soll.

Volkstümliche Bezeichnungen:

Bifoot, Bibôt, Biefout (plattdeutsch), Bibote, Bäibote (Braunschweig), Beibst (Riesengebirge, Schlesien), Babes (Karlsbad), Biefes (Eifel), Peips (Leipzig), Bîwes, Bîbs, Beiwes (Thüringen), Beibes (Lothringen). In manchen Gegenden werden an Johanni (Sonnenwende) aus Beifuß Kränze geflochten, die gegen böse Einflüsse (Blitzschlag usw.) schützen sollen, daher Sonnwendgürtel (bayerisch-österreichisch) oder Johannisgürtel. Auch ist er besonders im westlichen Deutschland häufig ein Bestandteil des Kräuterbüschels (fränkisch „Werzwisch“), der an Mariä Himmelfahrt (15. August) in katholischen Gegenden in der Kirche geweiht wird, daher Werzwisch (Nahegebiet), Wisch (Eifel).

Botanisches:

Der Gemeine Beifuß erreicht eine Höhe von 100-150 cm. Er hat einen nicht kriechenden Wurzelstock. Die unterseits weißfilzigen, oberseits kahlen einfach oder doppelt fiederteiligen Blätter haben lanzettliche oder linealische, eingeschnittene oder gesägte Zipfel. Der aufrechte Stengel ist ausgebreitet-ästig und oft dunkelbraunrot gefärbt. Die graufilzigen Blütenköpfchen sind eiförmig oder länglich. Hüllblätter am Rande ohne trockenen Saum. Die Blütenkronen sind gelb oder rotbraun. An Wegrändern, Abhängen, Hecken und in Gebüschen ist die Pflanze nicht selten. Blütezeit: August bis September. Verbreitungsgebiet: Europa, Nordasien, Amerika. Die auf nährstoffreichem Sand-, Kies- und Lehmboden wachsende Staude ist oft an Jaucheplätzen zu finden. Gelegentlich benutzt sie andere Pflanzen als Unterlage, ohne auf ihnen zu schmarotzen (Epiphyt). Die eurasischen Formen bevorzugen feuchte, die amerikanischen hingegen trockene Stellen.

Geschichtliches und Allgemeines:

Die alten Griechen und Römer (Hippokrates, Dioskurides, Plinius, Galenus) sprechen von einer Artemisia hauptsächlich als gynäkologischem Mittel. Es läßt sich jedoch nicht nachweisen, ob damit die Artemisia vulgaris oder eine der anderen Artemisiaarten gemeint ist. Der Gallier Marcellus (Bordeaux, 4. Jahrhundert n. Chr.) gibt den Rat, die Artemisia vor Sonnenaufgang mit der linken Hand aus der Erde zu ziehen und sich damit die Lenden zu gürten; das sei ein sicheres Mittel gegen Lendenschmerzen. In einem angelsächsischen Zaubersegen findet man die Mugwort (= Artemisia vulgaris, vielleicht Artemisia absinthium) an erster Stelle:

„Erinnere dich, Beifuß, was du verkündetest,

Was du anordnetest in feierlicher Kundgebung.

Una heißest du, das älteste der Kräuter;

Du hast Macht gegen 3 und gegen 30,

Du hast Macht gegen Gift und Ansteckung,

Du hast Macht gegen das Übel, das über das Land dahinfährt.“

Weiter wird erzählt, daß ein aus Wurzeln geflochtener Gürtel, der sogenannte „Johannisgürtel“, wenn er von einem Kranken in die Flammen des Johannisfeuers geworfen würde, alle Leiden des Patienten auf das Feuer überträgt.

Die Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts verwerfen aber schon allgemein den Beifußaberglauben. Im Mittelalter galt er als gynäkologisches Mittel, wurde aber auch gegen Hunde- und Schlangenbisse und Wassersucht verwandt. Der Extrakt aus den gepulverten Nebenwurzeln wurde bei Epilepsie gebraucht. Nach Tabernaemontanus wurde die Wurzel um den Hals getragen gegen die von Dämonen erzeugten Krankheiten (Epilepsie). Camerarius empfahl den Preßsaft zur Behandlung von Schußwunden, Tournefort ein Rezept gegen Hysterie. Bei den kalifornischen Indianern ist die subsp. heterophylla schon lange gegen Erkältungen, Fieber und Rheumatismus in Gebrauch. Beifußkissen wurden bei Schlaflosigkeit gebraucht. In Europa wird er heute sehr viel als Gewürz bei Gänsebraten benutzt.

Nach Murray wurde der Beifuß auch in China als Frauenmittel gebraucht, äußerlich fand er Anwendung gegen Geschwüre und Brandschäden. Gmelin berichtet, daß ein gewisser Priester am Flusse Onox in Sibirien ihn als Moxe wider viele Krankheiten gebraucht habe. Unter Moxen versteht man kleine Kegel aus brennbaren Stoffen, die auf der Haut abgebrannt werden (Moxibustionskur). Solche Moxen sind heute noch in China und Japan im Gebrauch und werden hauptsächlich aus Beifuß hergestellt.

Wirkung

Den Beifuß schätzten schon Hippokrates, die hl. Hildegard und Paracelsus hoch ein, sei es als Uterusmittel, als menstruations-förderndes, magenstärkendes, diuretisches, gelbsucht- und geschwulstheilendes Mittel oder als Pflaster auf schmerzende Geschwüre.

Auch Lonicerus stellt die emmenagoge, uterusreinigende und geburterleichternde, namentlich nachgeburtbefördernde Wirkung der Artemisia (Kraut und Wurzel) in den Vordergrund, erwähnt aber auch ihre harn- und steintreibende, magenerwärmende, nieren-, blasen- und lungenreinigende, hustenlindernde Kraft und ihre weitere Anwendung gegen Gelbsucht und die „verstopffung der innerlichen Glider / . . . die von einer kalten matri kompt“.

Matthiolus fügt dem noch hinzu, daß der Beifuß „dem kalten Gifft Opio widerstrebt“.

Nach v. Haller hält man ihn für ein „besonders gutes Wund- und Mutterkraut“.

Weinmann weiß sogar von einem Fall zu berichten, wo durch Verabreichung von Beifuß eine Menstruation nach 10jähriger Pause wieder eintrat.

Eingehend mit der Artemisia und insbesondere mit ihrer Wirkung bei Epilepsie beschäftigten sich G. E. Hermann und Reiling.

In den verschiedensten Gegenden Rußlands wird der Beifuß, wie W. Demitsch berichtet, bei Frauenkrankheiten, insbesondere bei Menstruationsanomalien und zur Erleichterung der Geburt, und bei Epilepsie angewendet. Außerdem wird er gegen Kopfschmerzen und als Diaphoretikum benützt.

Auch bei Osiander, Rademacher und Hufeland wird der Beifuß erwähnt, von letzterem namentlich bei Epilepsie angewandt und auch von seinen Anhängern bei diesem Leiden mit Erfolg verordnet. U. a. empfahl sein Mitarbeiter Burdach/Triebel, Artemisia bei Epilepsie, warnt aber vor zu starken Gaben, weil diese reizend auf das Gefäßsystem wirkten.

In neuerer Zeit hat sich Bohn wieder mit der Beifußwurzel befaßt und empfiehlt sie als Heilmittel bei Epilepsie, die von einer Reizung des Rückenmarks herrührt, ebenso bei Chorea minor, namentlich bei asthenischen Patienten. Dagegen soll die in der Wachstumsperiode junger Männer vorkommende Epilepsie durch Beifuß eher verschlimmert werden. Nach Leclerc genießt der Beifuß in Frankreich einen Ruf als Abortivum. Er selbst verwendet ihn bei Amenorrhöe chlorotischer Patientinnen. Dabei fand er das Infus unwirksam und empfiehlt einen wässerigen Auszug (wobei er anscheinend einen kalten Auszug meint).

Auch Inverni berichtet, daß in Italien die emmenagoge Wirkung auf den Uterus bekannt ist und verwertet wird, insbesondere bei Dysmenorrhöe und Amenorrhöe. In der Stillperiode soll der Beifuß nicht angewandt werden, da die Milch bitter würde.

Auch Schulz erwähnt Artemisia vulgaris als altes Volksmittel gegen Epilepsie, außerdem werde der Tee gegen falsche Wehen getrunken.

Über die Verwendung der Artemisia vulgaris in der chinesischen Medizin schreibt Hübotter, daß sie die kalte Feuchtigkeit vertreibt, den Uterus und die Körpermitte wärmt, alle Arten von Blutungen zum Stehen bringt, den Uterus beruhigt, die Menstruation regelt, den Ausfluß aus der Vagina stillt, die „Langeweile“ beseitigt, Leibschmerzen, kalte Durchfälle, Cholera, Aussatz heilt, Schlangen tötet. Bei fieberhaften Krankheiten ist der Gebrauch kontraindiziert. Die alte Droge wird zu Moxen verarbeitet (vgl. Geschichtliches) und mit Essig aufgekocht innerlich gegeben. Auch die frische Pflanze wird mit Essig zur Medizin verarbeitet.

In der Homöopathie wird der Beifuß bei Epilepsie mit häufigen Anfällen nach langen Pausen, und bei Augenstörungen (Farbempfindlichkeit) gebraucht.

Die bei den älteren chinesischen Schriftstellern erwähnte Droge Yin-ch’enhao soll zu Stammpflanzen Artemisia vulgaris, Artemisia abrotanum, Artemisia capillaris und zwei andere nicht feststellbare Species haben.

Als Nebenwirkung von Artemisiagaben beobachtete man gelegentlich unangenehm riechende Schweiße und Vermehrung der Diurese, nach Gaben von 0,2-0,3 g allgemeine nervöse Erregung.

Nach Injektion von Dekokten von Beifußblättern verdoppelte sich die Gallensekretion.

Als vorwiegend wirksame Bestandteile enthält die Wurzel Inulin, Gerbstoff, Harz und etwa 0,1% ätherisches Öl, das Kraut 0,2% und weniger ätherisches Öl, Beifußöl mit Cineol, wahrscheinlich auch Thujon, Paraffin, Aldehyde.

Bei Untersuchungen über Toxingehalt wurden mittlere Mengen von ausfällbarem Eiweiß von mittlerer Giftigkeit gefunden.

Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):

Dänemark: Als Emmenagogum, gegen Husten; äußerlich als Bad zur Stärkung geschwächter und ermüdeter Glieder.

Italien: Gegen Epilepsie.

Norwegen: Bei Frauenleiden und bei der Entbindung.

Polen: Bei Nervenkrankheiten und Epilepsie.

Steiermark: Mit Rosmarin zusammen als Abortivum.

Ungarn: Gegen Blasen- und Nierenkatarrh, im Puerperium.

Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:

Artemisia besitzt zwei Hauptindikationen: Amenorrhöe und Epilepsie. In ihrer Eigenschaft als Antispasmodikum wird sie ferner gegen Wurmkrämpfe, Krämpfe der Kinder, Chorea minor, tetanische und klonische Krämpfe gegeben. Häufig wird der Beifuß auch bei falschen Wehen und ausbleibender Nachgeburt (hier ist ein Weinaufguß beliebt), bei Erkrankungen des Verdauungsapparates (Diarrhöe, Magen- und Darmkatarrh, Blähungen, Appetitlosigkeit, Magenschwäche, Sodbrennen), seltener als Cholagogum, gegen Ikterus und Vermes verordnet.

Dilthey hatte Erfolge bei starker Verschleimung und Übersäuerung. Als allgemein tonisierendes Mittel wird Artemisia insbesondere bei Neurasthenie, Chlorose, Anämie, Gedächtnisschwäche und Schwindel angewandt.

Schließlich wird auch Asthenopie (zu äußerlichen Augenwaschungen gern in Verbindung mit Euphrasia) günstig beeinflußt.

Reuter, Greiz, läßt bei Diabetes älterer Leute dreimal täglich 1 Tasse von 5 g der Wurzel monatelang trinken.

Bei der gleichen Indikation konnte Hüttner eine zunehmende Glykosurie zum Stehen bringen, indem er morgens 1-2 Tassen Beifußtee und abends 1 Tasse Tormentilla verschrieb.

Als Antispasmodikum wird Artemisia gern im Teegemisch mit Valeriana und Paeonia gegeben, als Wechselmittel werden u. a. Belladonna, Nux vomica, Ignatia und Cina erwähnt. Als Stomachikum und Tonikum kommen u. a. Teegemische mit Calamus, Gentiana und Centaurium in Frage.

Schematische Darstellung der Häufigkeit der Anwendung von:

Angewandter Pflanzenteil:

Hippokrates verwendete nur das Kraut.

Lonicerus nennt Kraut und Wurzel, bevorzugt die Anwendung der Samen als erweichendes, drüsenzerteilendes Mittel.

Matthiolus rühmt das Kraut und die Blüten.

Nach v. Haller wird das Kraut sehr häufig, sehr selten die Wurzel gebraucht. Geiger, Hufeland, Rademacher, Bohn, Schulz u. a. nennen die Wurzel als besonders wirksames Mittel gegen Epilepsie.

Offizinell waren nach Geiger die Wurzel und das Kraut mit den blühenden Spitzen, Radix, Herba cum floribus seu Summitates Artemisiae.

Herba Artemisiae ist offizinell in Frankreich, Portugal und in der Schweiz.

Nach den Angaben der neueren Literatur empfehle ich zur Herstellung von Antiepileptica den im November geernteten frischen Wurzelstock. Auch die homöopathische Essenz (§ 3) und das „Teep“ werden aus dem frischen Wurzelstock bereitet.

Dosierung:

Übliche Dosis:

0,12-0,24 g des Pulvers für Kinder täglich (Friedrich);

5-10 Tropfen der Tinktur mehrmals täglich (Friedrich);

3 Teelöffel voll (= 4,5 g) zum heißen Infus oder kalten Auszug der Wurzel oder des Krautes täglich.

1/2 Teelöffel voll der Frischpflanzenverreibung „Teep“ dreimal täglich.

(Die „Teep“-Zubereitung ist auf 50% Pflanzensubstanz eingestellt.)

In der Homöopathie:

dil. D 2-3, dreimal täglich 10 Tropfen.

Maximaldosis:

Nicht festgesetzt, doch können größere Gaben unangenehme Nebenwirkungen hervorrufen, vgl. Wirkung.

Rezepte:

Bei Epilepsie:

Rp.:

Hb. Artemisiae conc. 50 (= Beifußkraut)
D.s.: 3 Teelöffel voll zum heißen Aufguß auf 1 1/2 Glas Wasser, tagsüber zu trinken.

Bei Epilepsie (nach Meyer):

Rp.:

Rad. Paeoniae officinalis (= Pfingstrosenwurzel)
Rad. Artemisiae vulg.  aa  25 (= Beifußwurzel)
M.f. subtile pulv. cont.
D.s.: Dreimal täglich 1 Messerspitze voll zu nehmen.

Als Emmenagogum:

Rp.:

Rad. Artemisiae conc. 10 (= Beifußwurzel)
D.s.: Zur Abkochung mit 1/2 1 Weißwein. 1-2 Glas täglich.

Bei Diabetes älterer Leute (nach Reuter):

Rp.:

Rad. Artemisiae conc. 100 (= Beifußwurzel)
D.s.: Zur Abkochung 1 Teelöffel auf 1 Tasse Wasser. Dreimal täglich 1 Tasse trinken (monatelang).
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Inhaltsverzeichnis: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Gerhard Madaus (+ 1942), Ausgabe Leipzig 1938
Auf Bilder / Photos des Lehrbuches wurde wegen mangelnder Aktualität / Qualität verzichtet. Ebenso ist die Einführung in dieser Online-Version nicht vorhanden. Sie können hier ausschließlich auf die Besprechung der einzelnen Pflanzen zurückgreifen. Die Rezepturen werden in das Kompendium im Laufe der Zeit eingearbeitet. Vorhandene Fotos: Rechte beim Verlag erfragbar.

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