Anis, Umbelliferae.
Name:
Pimpinélla anísum L. (= Apium anisum Crantz, = Sison anisum Sprengel, Tragium anisum Link, = Carum anisum Baillon, = Selinum anisum E. H. L. Krause, = Anisum vulgare Gärtner, Anisum officinarum Mönch, = P. anisum cultum Alef.) Anis. Französisch: Anis; englisch: Anise; italienisch: Anice (verde), anacio; polnisch: Anyz, Anyžek; russisch: Anis; tschechisch: Anýz; ungarisch: ánizs.
Verbreitungsgebiet
Heimat unbekannt, wahrscheinlich wie eingezeichnet. Kultiviert in Deutschland, Rußland, Italien. Spanien, Böhmen, Türkei, Chile, Indien v. Japan.
Namensursprung:
Die Deutung des Gattungsnamens „Pimpinella“ steht nicht fest. Anisum, der lateinische Name der Anispflanze bei Plinius, deckt sich mit dem griechischen νισον (ánison) und dem arabischen anysum und wird vom griechischen άνημι (aníemi) = herausspritzen, hervorbrechen lassen abgeleitet.
Botanisches:
Ursprünglich in den Mittelmeerländern heimisch, ist der Anis eine alte Kulturpflanze. Die Pflanze ist einjährig und hat eine dünne, spindelige, weißliche Wurzel. Die lang gestielten unteren Blätter sind ungeteilt, rundlich-nierenförmig und tief gesägt, die mittleren gefiedert, die oberen dreiteilig. Der aufrechte, markige, fein gerillte Stengel ist verhältnismäßig dünn, oben etwas ästig. Die ziemlich lockeren und flachen Dolden sind sechs- bis zwölfstrahlig. Die Döldchen tragen ebensoviele weiße Blüten. Hülle und Hüllchen fehlen oder werden nur aus ein bis zwei pfriemlichen Blättchen gebildet. Die Frucht ist eiförmig, etwa 3 mm lang, fein gerieft und erscheint durch Härchen graugrün. Sie riechen charakteristisch und schmecken süßlich-aromatisch. Anis liebt kalkhaltigen, kräftigen Boden und verlangt ein warmes, gemäßigtes Klima. Die Pflanze kommt bei uns nicht wild vor, wird aber bisweilen auf Schuttplätzen an Eisenbahndämmen verschleppt angetroffen. Blütezeit: Juli bis August.
Geschichtliches und Allgemeines:
Die Heimat des Anis dürfte der Orient sein. Seine Kultur ist jedenfalls sehr alt. Schon Pythagoras rühmte seine Heilkräfte, auch wird er häufig in den hippokratischen Schriften genannt. Ihm entspricht das anison des Theophrast und des Dioskurides, sowie das anisum des Plinius und das anisum Aegyptiacum des Columella. Dioskurides schreibt dem Anis in seiner Arzneimittellehre erwärmende, austrocknende, das Asthma erleichternde und schmerzstillende Wirkungen zu. Er empfiehlt ihn ferner gegen den Biß wilder Tiere und gegen Blähungen. Plinius, der ihn sehr ausführlich als Heil- und Gewürzpflanze behandelt, sagt, daß man nicht von der fallenden Sucht ergriffen würde, wenn man Anis in der Hand halte. Auch soll er ein Bestandteil des berühmten „theriaks“ gewesen sein, des Gegenmittels gegen alle Gifte, dessen sich der König Antiochus der Große von Syrien bedient haben soll. In Indien kennt ihn Susruta, 5. Jahrhundert v. Christi unter dem Namen Atichatra, und zwar als Galaktagogum, ebenso benützt ihn die alte chinesische Heilkunde. Da der Anis wie viele anderen Heilkräuter keinen alten deutschen Namen hat, wird angenommen, daß die Deutschen ihn mit der römischen Kultur übernommen haben. Die Angaben, die wir in den botanischen Schriften des Mittelalters finden, fußen wie gewöhnlich auf den Schriften des Dioskurides und Plinius. Die Schule von Salerno sagte:
„Das Gesicht und Magen Anis stärkt,
Je süßer, je besser nutz er wirkt.“
Als Volksmittel steht der Anis bei Krämpfen, Magenschwäche, Blähungen und Katarrhen in Gebrauch und wird häufig zu Schnäpsen, Likör usw. verwandt. – Er gilt in vielen Gegenden als Aphrodisiakum. In Böhmen hält man ihn am Andreastag (30. November) für besonders zauberkräftig für den Liebeszwang, weshalb dieser Tag dort auch „Anischtag“ genannt wird.
Der Taubenhalter bestreicht die Wände des Schlages mit Anisöl, um durch den angenehmen Geruch neue Tiere an den Schlag zu gewöhnen.
Wirkung
Als erwärmendes und verdauungsstärkendes Mittel und gegen Ikterus wurde der Anis von Hippokrates gebraucht, als erweichendes Mittel von der hl. Hildegard.
Auch Paracelsus erwähnt ihn.
Warmes Lob findet der Anis bei Bock, der ihn gegen Hydrops, Blähungen, verstopfte Leber, Magenbeschwerden, Singultus, Fluor albus, als schmerzstillendes und verdauungsförderndes Mittel, äußerlich als Augenpflaster, gegen Kopf- und Ohrenschmerzen empfiehlt.
Nach Matthiolus wirkt er außerdem stopfend, durstlöschend, gegen Lungenverschleimung und schlechten Atem; „in summa / er öffnet / värmet und stärcket alle innerliche Glieder“.
Weinmann führt noch den Gebrauch des Anis als geburtserleichterndes Mittel an.
Seine magenstärkende, verdauungsfördernde, Kolik- und blähungtreibende Wirkung wird auch von v. Haller geschildert, der ihn zudem bei Bronchialkatarrhen und Engbrüstigkeit gebrauchen läßt.
Hecker verordnet ihn gleichfalls bei Koliken infolge Blähungen und chronischer Metallvergiftung, bei Ileus und bei Brustaffektionen, wie Katarrhen, asthmatischen Beschwerden und Brustkrämpfen.
Von Osiander und von Hufeland wurde Anis als erweichendes, schleimlösendes, milchtreibendes und magenanregendes Mittel verwandt. Als noch heute beliebtes Volksmittel bei chronischer Bronchitis, leichteren Magendarmaffektionen und zur Anregung der Milchsekretion wird er von Schulz bezeichnet.
Bei Flatulenz, Kolik und zur Linderung der Beschwerden nach Einnahme von Abführmitteln wird Anisum vorwiegend in der englischen Arzneikunde verwendet.
Der wichtigste Bestandteil des Anis ist das ätherische Öl mit etwa 80 bis 90% Anethol, das ihm den charakteristischen Geruch verleiht, es enthält ferner Anissäure, Anisaldehyd und Anisketon. In den Früchten wurden Cholin und fettes Anisöl gefunden. Die karminative Wirkung des Anisöls wird dadurch erklärt, daß es die Spasmen der Darmwand löst und damit die Fortbewegung der Darmgase fördert. Nach Wiechowsky ist an diesem Vorgang eine schwach narkotische Wirkung beteiligt.
Leclerc sah öfters einen günstigen Einfluß durch die Verabreichung von Anisinfus oder Anistinktur auf Angina pectoris spuria, Palpitationen und Magenschwindel. An anderer Stelle bezeichnet er Anis als ein gutes Antidiarrhoikum. (Beim Meerschweinchen erzeugt Anis nach C. B. Inverni profuse Stühle.) Leclerc empfiehlt eine Tinktur 1:1 mit 95%igem Alkohol, von welcher er 3 g ad 250 g Sirup usw. alle 2 Stunden eßlöffelweise verordnet. Die Tinktur wird nach ihm nach der Mahlzeit zu 20-40 Tropfen als Karminativum genommen.
Das Anethol aus dem Anisöl wird von Warmblütern in recht großen Mengen vertragen. Hunde vertragen 1 cm3 über längere Zeit. Dagegen bewirkten 3 cm3 pro Kilogramm Speichelfluß, Erbrechen, Niesen, Zuckungen und Stupor. Dem entspricht auch die Toxizität der Droge. Kaninchen fraßen drei Jahre lang ohne jegliche Störungen 23 g Aniskörner täglich. Das Fleisch dieser Tiere wies einen schwachen Anisgeruch auf. Menschen zeigten nach Aufnahme von 0,5-1 g Anethol täglich für die Dauer von vier Wochen keine Änderung des Wohlbefindens.
Das Anisöl tötet Läuse und Krätzmilben innerhalb von 10 Minuten. Es hämolysiert rote Blutkörperchen.
Die Ausscheidung des Anethols erfolgt zum Teil in freier Form, zum Teil gebunden durch die Niere, doch findet auch eine Ausscheidung durch die Lunge statt.
Nach den Versuchen von Cadéac und Meunier kann man die physiologischen Wirkungen des Anis in zwei Perioden einteilen: die erste wird durch einen kurzen Erregungszustand, der sich in erhöhter Aktivität zeigt, gekennzeichnet, die zweite längere besteht in einer Parese der Muskeln, welche von einem langen, tiefen Schlaf gefolgt ist.
Über die homöopathische Heilkraft äußert sich Hahnemann folgendermaßen: „Die bei Murray zu findende Wahrnehmung, daß Anisöl von Purganzen erregtes Leibweh stille, setzt den nicht in Verwunderung, welcher weiß, daß J. B. Albrecht Magenschmerzen und Pet. Forestus heftige Koliken vom Anisöl beobachtet hatten.“
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Dänemark: Gegen Schlaflosigkeit, Wassersucht, Magenleiden und Atembeschwerden; äußerlich als Räuchermittel oder als Dampf gegen Kopfschmerzen, als Pflaster zum Entfernen von Fremdkörpern aus den Augen.
Polen: Als Expektorans und Galaktagogum.
Ungarn: Als schmerzstillendes, harntreibendes und schleimausführendes Mittel, bei Fluor albus und Milchmangel.
Steiermark: Gegen Krämpfe und Kolik als Abkochung; das Anisöl zur Vertreibung von Kleiderläusen.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Anisum wird gegen mit Meteorismus und Kolik verbundene Verdauungsbeschwerden, besonders Kindern, häufig verordnet, also gegen Flatulenz, Magen- und Darmkrämpfe, Zahnungsdiarrhöen, Verschleimung des Magens und Appetitlosigkeit. Wesenberg empfiehlt noch besonders gepulvertes Anis gegen Singultus. Auch als Expektorans wird es gern bei Husten, auch Pertussis, Bronchialkatarrh und Verschleimung der Lungen gegeben. Hierzu schreibt allerdings Büchle, daß der Gebrauch des Mittels auch zu Schädigungen der Luftröhre führen und Asthma hervorrufen könne. Als lauwarmes Gurgelwasser mit Salvia und Mentha pip. wurden nach Wagner bei eitriger Mandelentzündung gute Erfolge gesehen.
Ferner wirkt Anisum anregend auf die Milchsekretion und Menstruation und ist schließlich auch als allgemein beruhigendes Mittel angezeigt. Wenn die stillende Mutter es nimmt, geht ein Teil des Anis in die Milch und wirkt beruhigend auf den Säugling.
Angewandter Pflanzenteil:
Alle Autoren nennen nur den Gebrauch der Anissamen in der Heilkunde. Offizinell sind in Deutschland und in der Schweiz die reifen Spaltfrüchte, Fructus Anisi, in England nur das Anisöl, Oleum Anisi.
Zur Herstellung des „Teep“ werden die reifen Früchte verwandt. Diese werden auch zur Herstellung der homöopathischen Tinktur benützt (§ 4).
Dosierung:
Übliche Dosis:
0,3-1,8 g (Hecker);
0,2-2 g des Pulvers (Leclerc);
1-3 g der Tinktur (Leclerc);
4 Teelöffel (= 12,8 g) zum heißen Infus täglich.
1 Teelöffel voll der Frischpflanzenverreibung „Teep“ dreimal täglich.
(Die „Teep“-Zubereitung ist auf 50% Fruct. Anisi eingestellt.)
In der Homöopathie:
dil. D 1-2, dreimal täglich 10 Tropfen.
Maximaldosis:
Nicht festgesetzt.
Rezepte:
Pulvis carminat. infantum (nach Meyer):
Rp.:
Fruct. Anisi 15 Fruct. Foeniculi 10 Magn. ust. 5 Sacchari 70 M.f. pulv. D.s.: Messerspitzenweise.Species laxantes (DAB. VI):
Rezeptvorschriften vgl. bei Senna.Als Expektorans (DAB. VI):
Rp.:
Liqu. Ammonii anisati 10 D.s.: 5-15 Tropfen in schleimigem Vehikel.Als Stomachikum und Karminativum:
Rp.:
Fruct. Anisi 100 (= Anissamen) D.s.: 4 Teelöffel auf 1 Glas kochendes Wasser 10 Minuten ziehen lassen, tagsüber zu trinken.Oder (nach Klemperer-Rost):
Rp.:
Liqu. Ammonii anisati 5 Aqu. Amygdalarum amararum 10 Aqu. Aurantii florum 50 M.d.s.: Zwei- bis dreimal täglich 1 Teelöffel voll in einer Tasse Brusttee zu nehmen.Bei Magenkrampf zum Bereithalten in der Sprechstunde (nach Wessel):
Rp.:
Anisi Ø Foeniculi Ø Carvi Ø aa 10 D.s.: Im Anfall 5 Tropfen in 1 Eßlöffel Wasser (sofort wirkend).Bei Zahnungsdiarrhöen und Blähungen der Kinder (nach Schmidt):
Rp.:
Fruct. Anisi (= Anissamen) Fruct. Carvi (= Kümmelsamen) Fruct. Foeniculi (= Fenchelsamen) Fruct. Anethi aa 15 (= Dillsamen) M.f. species. D.s.: 2 Teelöffel auf 1 Glas Wasser vgl. Zubereitung von TeemischungenZur Förderung der Milchsekretion (nach Meyer):
Rp.:
Hb. Galegae (= Geiskleekraut) Sem. Foenugraeci (= Bockshornkleesamen) Fruct. Anisi aa 25 (= Anissamen) M.f. species. D.s.: 1 Eßlöffel auf 1 Tasse abkochen. Morgens und abends 1 Tasse warm trinken. Zubereitungsvorschlag des Verfassers: 4 Teelöffel voll auf 2 Glas Wasser vgl. Zubereitung von TeemischungenAls Stomachikum (nach Kroeber):
Rp.:
Fruct. Anisi (= Anissamen) Rad. Gentianae (= Enzianwurzel) Fruct. Carvi (= Kümmelsamen) Hb. Millefolii aa 10 (= Schafgarbenkraut) Fruct. Foeniculi (= Fenchelsamen) Hb. Equiseti (= Schachtelhalmkraut) Hb. Absinthii aa 20 (= Wermutkraut) M.f. species. D.s.: Zum Dekokt 1 Eßlöffel auf 1 Tasse 20-30 Min. Tagsüber schluckweise 1-2 Tassen oder nach dem Essen 2-3 Eßlöffel. Zubereitungsvorschlag des Verfassers: 2 Teelöffel voll auf 1 Glas Wasser vgl. Zubereitung von TeemischungenBei Verschleimung der Respirationsorgane (nach Friedrich):
Rp.:
Fruct. Anisi cont. (= Anissamen) Flor. Verbasci aa 25 (= Wollblumenblüten) M.f. species. D.s.: 4 Teelöffel auf 2 Glas Wasser mit Rosinen und Kandiszucker vgl. Zubereitung von TeemischungenOder:
Species pectorales DAB. VI. Rezeptvorschriften vgl. bei Althaea officinalis. _____________________________________ Inhaltsverzeichnis: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Gerhard Madaus (+ 1942), Ausgabe Leipzig 1938 Auf Bilder / Photos des Lehrbuches wurde wegen mangelnder Aktualität / Qualität verzichtet. Ebenso ist die Einführung in dieser Online-Version nicht vorhanden. Sie können hier ausschließlich auf die Besprechung der einzelnen Pflanzen zurückgreifen. Die Rezepturen werden in das Kompendium im Laufe der Zeit eingearbeitet. Vorhandene Fotos: Rechte beim Verlag erfragbar.