Ackergauchheil, Primulaceae.
Name:
Anagállis arvénsis L. (= A. foemina Mill., = indica Sweet, = A. mas Vill., A. monelli Bieb., = A. orientalis Hort., A. parviflora Loisel, = A. pulchella Salisb., = A. punctifolia Stokes). Acker-Gauchheil, Sperlings- oder Zeisigkraut, Rotes Grundheil. Französisch: Mouron mâle, morgeline d’été; englisch: Cure all, shepherd’s hourglass, scarlet pimpernel, common pimpernel, red chickweed, poor man’s weather-glass, John go to bed at noon; italienisch: Bellichina, mordi gallina, budello di gallina; dänisch: Arve; norwegisch: Vill primula; polnisch: Kurzyślad; russisch: Kuroslep; tschechisch: Drchnička rolné; ungarisch: Tikszem.
Verbreitungsgebiet
Weiteres Vorkommen: West-u. Mittelasien, Arabien, Nordafrika, Abessinien, Kapland, Vereinigte Staaten von Nordamerika, Mexiko, Südbrasilien, West-Australien, Tasmanien.
Namensursprung:
Anagallis, der von Dioskurides gebrauchte Name der Pflanze, steht vielleicht im Zusammenhang mit άγαλλς (agallis), das eine Irisart bedeuten soll, oder mit άγλλειν (agállein) = schmücken. Linné leitete den Namen vom griechischen άναγελο (anageláo) = ich lache, ab, da man dem Gauchheil im Altertum die Kraft, Melancholie zu vertreiben und Heiterkeit zu erzeugen zuschrieb. Richtiger mutet die Erklärung von Kratz an, daß der Name sich von άναλλλις = die Bescheidene ableitet, da es sich um ein ganz bescheidenes Pflänzchen handelt. Der Name Gauchheil wird durch die Anwendung des Krautes gegen Geisteskrankheiten (Gauch = Tor, Narr) erklärt. Offenbar wurde auch der Name vermengt mit Gachheil (mittelhochdeutsch gâch = jäh, schnell), der Bezeichnung für ein „schnell heilendes“ Kraut.
Volkstümliche Bezeichnungen:
Gähheil (Eifel), Goarteel. Die Blüte öffnet sich erst etwa um 9 Uhr vormittags und schließt sich bereits gegen 3 Uhr nachmittags wieder, daher die Volksnamen: Nainibleaml (Niederösterreich), Neunerle (bayerisches Schwaben), Nüni-Blüemli (Luzern), Zehniblüemli (Thurgau), Firobedblüemli = „Vier Uhr zu Bette“ (Thurgau), Ful-Liese (Mecklenburg), Faule(s) Liesl (bayrisch-österreichisch), Fauli Gredl (Niederösterreich), Fulenzchen, Ful‘ Elschen, Faule Ma(g)d (Gotha). Nach den zierlichen, augenähnlichen Blüten heißt der Gauchheil auch Katza(n)äugla (Schwäbische Alb), Hühneraug (Schweiz: Waldstätten), Roti Henna-äugli (St. Gallen), nach deren roter Farbe Bluetströpfli (Schweiz). Da sich die Blume bei bewölktem Himmel, also wenn Regen bevorsteht, schließt, nennt man sie in Schleswig Regenblom, im Riesengebirge Wetterblume und in Schlesien Gewitterblume. Als Futter für Gänse bezeichnet man den Gauchheil als Gänsekritche (Lothringen), Gensekreitchen (Luxemburg). Grundheil, Heil alle Welt (Braunschweig), Kopfwehkraut (Schwäbische Alb).
Botanisches:
Die kleine einjährige Kalkpflanze des Mittelmeergebietes ist dem Menschen fast in alle Erdteile gefolgt und bewohnt Schuttplätze und verlassene Äcker. Ihre 6-30 cm langen, niederliegenden oder aufrechten Stängel wie auch die kreuzweise gegenständigen, unterseits etwas punktierten Laubblätter sind in der Jugend dicht mit kurzen Köpfchenhaaren besetzt; später verkahlen sie. Ihre Blüte mit radförmiger, zinnoberroter, selten weißer oder lila Krone öffnet sich gegen 9 Uhr (= Neunerle). Bei bevorstehendem Regen sollen die Blüten auch tagsüber geschlossen bleiben. Frucht eine fast kugelige Kapsel mit halbkugeligem Deckel. Blütezeit: Juni bis Oktober.
Geschichtliches und Allgemeines:
Der Gauchheil ist eine uralte Arzneipflanze, die schon die hippokratischen Ärzte als Pulver gegen bösartige Geschwüre verwendeten. Auch bei Dioskurides, Galenus und Plinius findet er Erwähnung. Ersterer beschreibt zwei Arten, deren Saft er als Gurgelwasser, gegen Zahnschmerzen, mit Wein getrunken gegen Schlangenbiß und für Nieren- und Leberleidende empfiehlt.
In den Kräuterbüchern des Mittelalters finden sich überall die gleichen Anwendungsweisen. Man hatte mehrere Präparate vom Gauchheil: Extractum Syropus, Essentia, Aqua Anagallidis, die jetzt nicht mehr gebräuchlich sind. Nach Netolitzky war die Pflanze früher in Deutschland gegen Hundetollwut, worunter allerdings auch Tobsuchtsanfälle bei manchen Geisteskrankheiten und Urämie verstanden wurden, sehr geschätzt. Man ließ sogar zwangsweise auf Anordnung der Behörden das Kraut sammeln und es äußerlich und innerlich anwenden. Auch in Luzern wurde das Kraut ehemals gegen Geisteskrankheiten, in anderen Gegenden gegen Gedächtnisschwäche, sowie gegen Schlangenbiß und als Teesurrogat verwandt. Über weiteren Gebrauch in der älteren Medizin vgl. auch die Dissertationen C. L. Bruch (Argent. 1758) und G. N. Schrader (Halle 1760). Die Samen sollen für die Vögel tödlich sein, während das Extrakt, innerlich oder äußerlich auf Wunden gebracht, starke Hunde töten kann.
Wirkung
Von Hippokrates als ätzendes Trockenmittel für Wunden empfohlen. Auch Lonicerus rühmt den Gauchheil als Wundkraut, außerdem als leberöffnendes, nierenreinigendes und steintreibendes Mittel, das bei Augentrübungen, Biß toller Hunde und zur Reinigung des Gehirns äußerlich zu brauchen sei. Schon das bloße In-der-Hand-halten genüge, um Blutungen zu stillen.
Matthiolus berichtet gleichfalls von der Wirkung der Anagallis bei giftigen Wunden und gegen Pest, wobei sie „das Gift zu den Schweißlöchern ausjage“. Auch gegen Fraisen der Kinder werde sie benützt, äußerlich bei fressenden Geschwüren, hitzigen Geschwülsten, Mastdarmvorfall und Hämorrhoiden.
Wie v. Haller schreibt, hielt man das Kraut für ein zuverlässiges Mittel bei „allen Arten von Rasereien, die mit keinem hitzigen Fieber verbunden sind.“
Nach Hecker vermehrt Anagallis die Sekretionen, besonders der Haut und der Nieren, und könne daher bei Unterleibsstockungen, Hydrops, Gicht und Steinleiden wirksam sein, wenn man nicht zuviel von ihr erwarte. Besonders heilsam habe sich der Gauchheil aber bei Wut und Wasserscheu gezeigt, wofür sich vor allem Kämpf eingesetzt habe; nach seinen Beobachtungen wurde durch den Gebrauch von Anagallis der Ausbruch von Wasserscheu verhütet, während andere seine Wirkungslosigkeit feststellten.
In neuerer Zeit hat Bohn Anagallis bei gastrisch-hämorrhoidalen Leiden und damit zusammenhängenden seelischen Störungen, insbesondere Epilepsie und Melancholie, empfohlen. Der Saft reinigt nach ihm Wunden von wildem Fleisch und feuchten Wucherungen, wenn man ihn frisch aufträufelt.
Die Volksmedizin wendet heute den Gauchheil gegen chronische Nephritis, Lithiasis und Hydrops, Ikterus, Cholelithiasis, Leberzirrhose, Obstipation und als Antiepileptikum an, den Saft äußerlich gegen Warzen und Granulome.
Diesen Indikationen fügt Clarke noch Gonorrhöe, Syphilis und Kopfschmerzen hinzu.
In kleinen Dosen bewirkt Anagallis vermehrte Haut- und Nierentätigkeit, größere Gaben rufen starke Diurese, Zittern, breiige und wässerige Stühle und Erscheinungen am Nervensystem, Gehirn und Rückenmark hervor.
Schon Orfila hatte festgestellt, daß die Pflanze Entzündung des Verdauungskanals hervorrufe und schwach narkotische Kraft besitze.
Anagallis soll nach Kratz früher bei Augenoperationen angewandt worden sein, um die Pupillen zu erweitern wie heute Atropin. Ich habe am Katzenauge, das gut auf Atropin reagiert, diese Behauptung nachgeprüft. Eine Pupillenvergrößerung war nicht erkennbar.
Das Kraut enthält zwei glykosidische Saponine, ein peptonisierendes Enzym und das Enzym Primverase, die Wurzel Cyclamin. Sie entwickelt einen Baldriangeruch.
Bezüglich des Saponingehaltes wurde in der homöopathischen Tinktur ein hämolytischer Index von 1:1000 festgestellt.
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Dänemark: Innerlich als Stärkungsmittel, äußerlich zu kühlenden Salben.
Italien: Bei offenen Wunden.
Norwegen: Innerlich bei saurem Aufstoßen, äußerlich als Wundmittel und Vesicans.
Ungarn: Als Wundmittel und Diaphoretikum, gegen innere und äußere Geschwüre und gegen Hydrops.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Die Indikationen sind noch unklar. Das Mittel ist zur Zeit wenig gebräuchlich. Es wird in erster Linie verordnet bei Leberstörungen, z. B. Leberverhärtung, Leberzirrhose, Gelbsucht und Gallensteinen, ferner bei Hämorrhoiden, Prolapsus ani, Hydrops und chronischer Nephritis. Auch bei nervösen Störungen hat es sich als schmerzlinderndes und beruhigendes Mittel bewährt, insbesondere wenn diese durch Erkrankungen der obengenannten Organe bedingt sind, also bei Epilepsie, Neurasthenie, Manie und Melancholie. Ebenso wird es bei Tussis convulsiva gelobt.
Anwendung findet Anagallis schließlich noch bei Dermatopathien, wie Ulzera, Flechten, Pruritus und schwer heilenden, eitrigen Wunden.
Nach Bischoff, Berlin, übt der Gauchheil auch bei Erkrankungen der Schleimhäute eine hyperämisierende Wirkung aus und wird bei Nebenhöhlenkatarrh, Ozaena, anämischen Kopfschmerzen, Rachenkatarrh und Polypen angewandt. Da Anagallis allein „furchtbar auf der Schleimhaut brennt“, empfiehlt Bischoff zu Nasenspülungen ein Teegemisch von Anagallis, Beta vulgaris, Salvia und Hypericum zu benützen.
Bei Leberleiden wird Anagallis u. a. im Teegemisch mit Hepatica triloba, Juglans regia, Juniperus, Viola tricolor und Frangula empfohlen. Als Wechselmittel wird Quassia amara genannt. Bei seelisch bedingten Erkrankungen käme neben anderen ein Teegemisch mit Artemisia und Valeriana in Frage.
Angewandter Pflanzenteil:
Verwendung in der Medizin hat schon seit hippokratischer Zeit das Kraut, früher als Herba Anagallidis offizinell, gefunden.
Zur Bereitung der wirksamen Präparate empfiehlt sich die frische, blühende Pflanze mit Wurzel (Sammelzeit Juli bis Oktober), demgemäß wird auch das „Teep“ hergestellt. Die homöopathische Urtinktur nach dem HAB. wird aus dem frischen, blühenden Kraut bereitet (§ 1).
Dosierung:
Übliche Dosis:
1,8 g des Pulvers viermal täglich (Hecker);
3,0 g der Tinktur (Bohn).
1 Tablette der Frischpflanzenverreibung „Teep“ viermal täglich.
(Die „Teep“-Zubereitung ist auf 50% Hb. Anagallidis eingestellt, d. h. 1 Tablette enthält 0,125 g Pflanzensubstanz.)
In der Homöopathie:
dil. D 3, dreimal täglich 10 Tropfen.
Maximaldosis:
Nicht festgesetzt.
Rezepte:
Bei Leber- und Nierenleiden und Hydrops:
Rp.:
Hb. Anagallidis arvensis 25 (= Ackergauchheilkraut) D.s.: 1/2 Teelöffel voll zum heißen Aufguß mit 1 Glas Wasser, 10 Minuten ziehen lassen und tagsüber trinken.Bei Leberschwellung (nach Ulrich):
Rp.:
Hb. Anagallidis 20 (= Ackergauchheilkraut) Hb. Hepaticae (= Leberblümchenkraut) Fol. Juglandis (= Walnußblätter) Fruct. Juniperi (= Wacholderbeeren) Hb. Violae tric. (= Feldstiefmütterchenkraut) Cort. Frangulae aa 10 (= Faulbaumrinde) M.f. species. D.s.: 1 Teelöffel auf 1 Glas Wasser vgl. Zubereitung von TeemischungenBei Cholelithiasis (nach Kroeber):
Rp.:
Cort. Fruct. Aurantii 5 (= Pomeranzenschalen) Rad. Asari (= Haselwurz) Rhiz. Calami (= Kalmuswurzelstock) Hb. Eupatorii cannab. (= Wasserhanfkraut) Rad. Agriopyri rep. (= Queckenwurzel) Hb. Centaurii aa 10 (= Tausendgüldenkraut) Hb. Anagallidis (= Ackergauchheilkraut) Rad. Taraxaci (= Löwenzahnwurzel) Rad. Cichorii intyb. aa 15 (= Wegwartenwurzel) C.m.f. species. D.s.: Zum Dekokt 1 Eßlöffel auf 1 Tasse. Tagsüber oder täglich 1/2 Stunde vor dem Essen zu trinken. Zubereitungsvorschlag des Verfassers: 1 Teelöffel auf 1 Glas Wasser vgl. Zubereitung von Teemischungen _____________________________________ Inhaltsverzeichnis: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Gerhard Madaus (+ 1942), Ausgabe Leipzig 1938 Auf Bilder / Photos des Lehrbuches wurde wegen mangelnder Aktualität / Qualität verzichtet. Ebenso ist die Einführung in dieser Online-Version nicht vorhanden. Sie können hier ausschließlich auf die Besprechung der einzelnen Pflanzen zurückgreifen. Die Rezepturen werden in das Kompendium im Laufe der Zeit eingearbeitet. Vorhandene Fotos: Rechte beim Verlag erfragbar.