von Claviceps purpurea Tulasne, Mutterkorn, Pyrenomycetes.
Name:
Claviceps purpurea Tul. (= Secále cornútum). Mutterkorn. Französisch: Ergot de seigle, Seigle ergoté, Seigle cornu; englisch: Ergot of rye, spurred rye; italienisch: Grano cornuto; dänisch: Meldröje; norwegisch: MeldrØie, Moderkorn; polnisch: Sporysz; russisch: Sporynja, Matocznyje rozki; schwedisch: Mjöldryga; tschechisch: Námel, svatojánské žito; ungarisch: Anyarozs.
Verbreitungsgebiet
wird nachgetragen
Namensursprung:
Secale cornutum = gehörnter Roggen, da der Pilz meist auf Roggen schmarotzt. Der Name Mutterkorn ist jedenfalls nicht aus seiner Wirkung auf die Gebärmutter zu erklären, sondern bezieht sich, wie schon aus der alten lateinischen Bezeichnung Secalis mater (Kornmutter) hervorgeht, auf die Größe der befallenen Körner, die die der anderen weit überragt.
Volkstümliche Bezeichnungen:
Roggenmutter, Kriebel-, Vogel-, Schwarz-, Brand-, Giftkorn, Hungerkorn, Hahnensporn, Kornzapfen, Kindesmord.
Botanisches:
Secale cornutum ist der Dauerzustand des auf dem Roggen und anderen Gräsern schmarotzenden Pilzes Claviceps purpurea. In diesem Zustande überwintert der Pilz in der Ackerkrume und keimt erst im nächsten Frühsommer zur Zeit der Roggenblüte wieder aus. Pilzfädenbündel wachsen zu langgestielten, blaßroten Köpfen heran, in denen zahlreiche, gleichmäßig über die Oberfläche verteilte Perithecien (krugförmige Vertiefungen) entstehen. Aus ihnen gehen nach der Befruchtung zahlreiche fadenförmige Sporen hervor, die durch den Wind auf die Getreideblüte gelangen. Das Pilzgeflecht überwuchert nun den Fruchtknoten, schnürt unter Absonderung eines süßen Saftes ungeschlechtliche Sporen ab, mit denen die Insekten wieder andere Blüten infizieren. Zur Zeit der Fruchtreife geht der Pilz durch festes Aneinanderlegen seiner Fäden in den bekannten Dauerzustand über.
Geschichtliches und Allgemeines:
Nach Kobert handelt es sich bei der in den hippokratischen Schriften geschilderten Massenerkrankung und der in Athen im Jahre 430 v. Chr. ausgebrochenen Pest, die der Geschichtsschreiber Thukydides eingehend schildert, um Blatternepidemien bei einer an latentem Ergotismus leidenden Bevölkerung. Auch Celsus, Plinius, Dioskurides und Galenus scheinen die Wirkungen des mutterkornhaltigen Getreides gekannt zu haben. Bei den Chinesen ist das Mutterkorn zum Zwecke der Geburtshilfe schon in früherer Zeit im Gebrauch gewesen. Die durch den Genuß des Mutterkorns hervorgerufenen Epidemien lassen sich in Frankreich bis zum Jahre 590 zurückverfolgen. Im Jahre 1089 gründete man dort zur Verhütung dieser fürchterlichen Seuche den St. Antonsorden und errichtete das Hospital St. Antoine. Auch in Deutschland wurden große Epidemien des Ergotismus oder der Kriebelkrankheit (wegen des eigentümlichen, schmerzhaften, juckenden Kriebelns in den Fingern und Fußspitzen) beobachtet: 1577 in Hessen, 1588 und 1736 in Schlesien, 1641 im Vogtlande, 1770 und 1771 in Westfalen, Hannover und Lauenburg. Man nimmt an, daß das Mehl, das diese Epidemien hervorgerufen hat, zu 1/5 bis 1/3 aus Mutterkorn bestanden hat.
In den Kräuterbüchern der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wird das Mutterkorn wenig erwähnt. Im 18. Jahrhundert schreibt Camerarius, daß sich die deutschen Hebammen seiner bedienten, um Kontraktionen des Uterus hervorzurufen. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Mutterkorn allgemein von den Ärzten gegen die Blutungen vor und nach der Entbindung und zur Erleichterung der Entbindung gebraucht. Einzelne Fälle sind bekannt, in denen es in sehr bedeutenden Dosen als Arzneimittel angewandt, schädliche Folgen hatte. So erzählt Levrat-Berroton von einer Frau, bei der infolge von Verabreichung hoher Dosen von Mutterkorn bei einer Geburt nach kurzer Zeit heftige Schmerzen in den Fingerspitzen mit Anschwellung der Arme und Zeichen eines Reizzustandes der Verdauungswege sich einstellten, und zuletzt die Enden mehrerer Finger brandig abstarben.
Auch innerhalb der letzten Jahre sind in England sowie in anderen Ländern vereinzelte Fälle von „Kriebelkrankheit“ aufgetreten.
Ogata und Ohtani berichten über die Prüfung von Fluidextrakten aus künstlich an Secale cereale und Phalaris arundinacea gezüchtetem Mutterkorn. Untersucht wurde die hemmende Wirkung gegen die durch eine Adrenalinlösung verursachte Kontraktion am isolierten Uterus von Kaninchen. Es zeigte sich, daß das an Secale cereale gezüchtete Mutterkorn gar keine Wirkung, dagegen das an Phalaris arundinacea entstandene die doppelte Wirksamkeit des Handelsproduktes besaß.
Wirkung
Schon Hippokrates ließ Mutterzäpfchen mit Secale als Emmenagogum anwenden, während die mittelalterlichen Kräuterbücher ihm wenig Beachtung schenkten.
Bei Matthiolus findet sich ein Hinweis auf die blutstillende und schrundenheilende Wirkung des Mutterkorns.
Von den ärztlichen Forschern des vorigen Jahrhunderts widmet Clarus dem Mutterkorn eine ausführliche Schilderung und gibt als Indikationen an: Abort und künstliche Frühgeburt (zur Anregung), Wehenschwäche, Nachwehen (zur Verhütung), prä- und postpuerperale Blutungen („recht günstiger Erfolg“ bei starken Menorhagien zu Beginn des Klimakteriums), Amenorrhöe (infolge vikariierender Sekretion anderer Organe), Hämorrhagien aus Darm, Harnorganen, Nase, Lunge usw., paralytische Zustände, Harn- und Stuhlinkontinenz infolge Sphinkterschwäche. Clarus gibt auch eine reiche Literaturübersicht.
Bei Blasenlähmung infolge zerebraler Affektionen oder übermäßiger Ausdehnung der Blase rühmte Allier den Secale-Gebrauch, während er von Saucerotte bei Paralyse der unteren Extremitäten als Folge überstandener schwerer Krankheiten oder Erkältung der Füße befürwortet wird.
Vogt empfahl Secale cornutum im späteren Stadium der essentiellen Kinderlähmungen.
Bei Augenkrankheiten wie Exophthalmus, Blepharitis und pustulöser Konjunktivitis wurde Secale von Willebrand verordnet.
Kobert nennt in seinem Lehrbuche folgende Indikationen: schlechte Wehen während der Austreibungsperiode (cave Asphyxie!), post partum: Atonia uteri; im Wochenbette: mangelnde Rückbildung des Uterus, zu lange blutige Lochien; für die innere Medizin: 1. Hämorrhagien der Nase, Lunge, Speiseröhre, des Magens, Darms, der Harnwege, 2. paralytische Form der Migräne, 3. Erkrankungen des Zentralnervensystems: Tabes, spastische Spinalparalyse, progressive Bulbärparalyse, 4. „vielleicht nervöse Störungen“ wie Morbus Basedowi, nicht-pankreatische Formen von Diabetes mellitus, Diabetes insipidus, Nausea marina, Pertussis; außerdem Spermatorrhöe und Enuresis nocturna.
Schulz führt außer diesen Indikationen noch an: Uterusmyome (gelegentlich wurde durch Secale-Gebrauch spontane Ausstoßung beobachtet), Uterusblutungen, Purpurea haemorrhagica (nach Henoch) und erwähnt, daß das Mutterkorn in der Volksmedizin häufig als Abortivum Anwendung finde.
Die außerordentlich reichhaltige neuere Literatur über den therapeutischen Gebrauch von Mutterkorn und seinen Bestandteilen kann hier nicht aufgeführt, sondern muß in den einschlägigen Zeitschriften und Lehrbüchern eingesehen werden. (Vgl. bes. Straub: Das Mutterkorn im Wandel der Zeiten, in der „Münch. med. Wschr.“ 1934, I., S. 349, kurze Darstellung des therapeutischen Gebrauchs, der Chemie und Pharmakologie von Secale cornutum; den Artikel von Dale in der „Schw. med. Wschr.“, Jahrg. 65, H. 37, S. 885; ferner die Referate von Barger, Stoll, Rothlin, Langecker auf der 8. Tagung der Deutschen pharmakologischen Gesellschaft und den Abschnitt „Mutterkorn“ in Heffters Handbuch).
Hier sei nur hingewiesen auf einige Arbeiten, die sich mit extrauterinen Indikationen von Secale befassen:
So sah Livingston gute Erfolge der Secalepräparate bei Zirkulationsstörungen, Drüseninsuffizienz, Hautleiden wie Urtikaria und Acne rosacea, bei Nervenleiden und zur Kupierung von Infektionskrankheiten. Bei Urtikaria, die ja bei Sympathikotonikern am häufigsten festgestellt wurde, verordnete auch Decaux das Ergotamin wegen seiner sympathikushemmenden Wirkung.
Aus dieser Wirkung ergeben sich weiter die Indikationen für Basedow, paroxysmale Tachykardie, Migräne und Pruritus.
Gute Ergebnisse wurden mit der Ergotaminbehandlung bei Basedow erzielt, wobei aber die Gefahr einer Secale-Gangrän naheliegt.
Froehlich beobachtete günstige Wirkung der Secalepräparate bei Blasenstörungen der Tabiker,
Leonhard bei manischen und melancholischen Zuständen.
Auf homöopathischer Basis beruhen die Verordnungen von Tischner, der Secacornin stark verdünnt bei grauem Star gab und in 32 Fällen Stillstand des Prozesses, manchmal auch Steigerung der Sehschärfe beobachtete, und von Gerlach, der mit homöopathischen Verdünnungen Thrombangitis obliterans und Secalegangrän heilen konnte.
Auch Gescher konnte eine Iritis mit Mercur. jodat., Belladonna und Secale in homöopathischen Verdünnungen heilen. Außerdem wird Secale in der Homöopathie bei Gangränformen, nervösen Gefäßspasmen und bei arteriosklerotischen Störungen in der Zirkulation der Beinarterien gebraucht. In höherer Verdünnung soll es von ausgezeichneter Wirkung bei Neigung zu habituellem Abort sein.
Nach Stauffer wird es bei Brechdurchfällen zu wenig gewürdigt. Auch bei Angina acuminalis ist es nach ihm ein Hauptmittel. Bei inneren Blutungen ist die Wirkung nach ihm nicht ganz zuverlässig. Schulz zitiert einen Fall nach De Bierre: Eine Frau, die regelmäßig bald nach dem Eintreten der Menses Hämoptoe bekam, wurde mit einem wäßrigen Secale-Extrakt behandelt. Das Ergebnis war eine völlige physiologische Regulierung, die Blutung aus der Lunge hörte auf und die Menses nahmen ihren gewöhnlichen Verlauf.
Strümpel macht in seinem Lehrbuch auf die homöopathische, umkehrende Wirkung bei Tabes dorsalis aufmerksam. Er schreibt: „Darin, daß trotz des Vorkommens von Ergotintabes das Ergotin als ein Mittel gegen Tabes empfohlen wird, liegt nur ein scheinbarer Widerspruch. Es ist sehr wohl möglich, daß dasselbe Mittel, welches in großen Dosen gewisse Fasersysteme zur Atrophie bringt, in kleinen Dosen irgendwie günstig (erregend) auf dieselben einwirkt. Immerhin muß man aber bei der Anwendung des Ergotins vorsichtig sein.“ Stauffer macht auch auf eine solche umkehrende Wirkung der Secale bei Rückenmarkserkrankungen aufmerksam. In großen Dosen führt es zur Degeneration, in kleinen Dosen zum Stillstand solcher Prozesse und Besserung der Beschwerden. Bei Diabetes kommt es zur Reduktion der Zuckermenge, Hebung des Allgemeinbefindens und günstiger Beeinflussung des Katarakts, Gangrän und wackelnder Zähne als etwaige Komplikationen des Diabetes.
Secale cornutum stellt eine vielfach zusammengesetzte Droge dar, die drei Gruppen aktiver Bestandteile enthält: Alkaloide, Amine und Acetylcholin.
Secale wirkt hauptsächlich auf den Uterus, auf den Sympathikus bzw. die dem letzteren unterstehenden Funktionen und auf die Arterien. Es verursacht anhaltende spastische Verengerung der kleinen Arterien, am Uterus langdauernde Kontraktionen, so daß die Frucht asphyktisch wird und Abort eintritt. Sind die Kontraktionen periodisch und gleichen normalen Wehen, so kann eine reguläre Geburt herbeigeführt werden.
Der Puls wird durch Mutterkornalkaloide verlangsamt, das Herz erweist sich als resistent, Niere und Darm zeigen infolge Lähmung des vasokonstriktorischen Mechanismus Gefäßveränderungen.
Die wirksamste Substanz ist das Ergotoxin bzw. das ihm chemisch nahestehende Ergotamin, das peripher auf die glatte Muskulatur wirkt, Tonussteigerung, Beschleunigung des Rhythmus der Bewegungen, in kleinen Dosen Blutdrucksteigerung, in größeren Lähmung der sympathischen Nervenenden und Senkung des Blutdruckes hervorruft. Es lähmt den sympathischen Speichelfluß. Der Blutzucker Gesunder bleibt durch Ergotamin unbeeinflußt, während es bei Diabetikern eine leichte Senkung bewirkt.
In den letzten Jahren wurde eine Reihe neuer Mutterkornalkaloide beschrieben, und zwar von Wolf das Sensibamin, von Küszner das Ergoclavin, von Moir und Dudley das Ergometrin und von Stoll und Burckhardt das Ergobasin. Über diese neuen Alkaloide berichtet zusammenfassend Dale in der erwähnten Arbeit in der „Schweizer Medizinischen Wochenschrift“. Dale vermutet, daß Ergometrin und Ergobasin miteinander identisch sind. Ergoclavin und Sensibamin schließen sich in ihrer Wirkung so eng den bekannten Secalealkaloiden Ergotoxin und Ergotamin an, daß man diese vier Substanzen zur „Ergotoxingruppe“ zusammenfassen kann.
Im Mutterkorn bilden sich weiter Tyramin und Histamin, von denen das erstere nach Meyer-Gottlieb die glatte Muskulatur kontrahiert, Tonus und Rhythmus des Uterus steigert, ferner sowohl durch Wirkung an der Gefäßwand selbst, als auch vom Zentralnervensystem aus Gefäßverengerung verursacht. Es ähnelt dem Adrenalin, ist jedoch weniger giftig; es wirkt schwächer, aber anhaltender.
Histamin erzeugt am Uterus starke Kontraktionen, und zwar noch in einer Lösung von 1 : 250 Millionen; es dilatiert die Kapillaren, senkt den Blutdruck und ruft Atemlähmung hervor. Die Wirkung des körpereigenen Histamins und Acetylcholins als gefäßerweiternde Stoffe der Gewebe werden zur Zeit lebhaft diskutiert. Verwiesen sei hier auf die Arbeiten von J. A. Gaddum und H. H. Dale.
Das Acetylcholin senkt den Blutdruck, indem es vasodilatatorisch wirkt. Dale und Ewins stellten an Katzen nach subkutaner Anwendung kranial-sakrale Reizungen, Salivation, Schweiß, Tränenfluß, Herabsetzung der Herztätigkeit, Stuhlentleerungen und Erektionen fest.
Toxikologisches:
Die akute Secale-Vergiftung äußert sich durch Vomitus, Leibschmerzen, quälenden Singultus, starken Durst, Brennen im Epigastrium, Diarrhöe, Gliederschmerzen, Präkordialangst, Herzpalpitationen, Dyspnoe, spastische Uterusaffektionen, Kopfschmerzen, Schwellung der Lider, Mydriasis, Herabsetzung des Sehvermögens, Temperaturerhöhung, Zittern, Frösteln, Paräthesien, Kontrakturen, Konvulsionen, epileptiforme und maniakalische Anfälle, Zyanose, schließlich Temperatursenkung, Pulsschwäche, Bewußtseinsverlust, tiefes Koma und Exitus infolge Atem- und Herzlähmung. Während der Secale-Verabreichung im Puerperium wird die Milchsekretion gehemmt, oder sie versiegt ganz.
Uterus-Zerreißung wurde mehrfach beobachtet.
Die durch Secale verursachte chronische Vergiftung, der Ergotismus, äußert sich in zwei Formen: der konvulsivischen und der gangränösen
Erstere beginnt mit Taubheitsgefühl an Fingern und Händen („Kriebelkrankheit“), das sich allmählich über den ganzen Körper ausbreitet, Magendarmstörungen, Brechdurchfällen, dann folgen tonische Kontraktionen insbesondere der Flexoren mit typischen dauernden Kontrakturen und schließlich schwerste klonische epilepsieartige Krämpfe, hierauf schwere Nachkrankheiten des Zentralnervensystems, die tabesähnlich auftreten (Ergotintabes) und meist Verblödung nach sich ziehen. Kobert beobachtete auch Polyneuritis toxica. Wahrscheinlich beruhen epidemische Tetanie und Säuglingstetanie auf Secalevergiftung.
Bei der gangränösen Form tritt zuerst auch oft Kriebeln und Durchfall auf, Hämorrhagien und Geschwüre im Magendarm, ein Symptomenbild ähnlich dem Abdominaltyphus oder der intestinalen Sepsis. Dann kommt es zur Verfärbung der Haut, Abhebung der Epidermis und trockenem Brand der Zehen und Finger, u. U. der Ohren und Nase, verursacht durch andauernde Verengerung der Gefäße und Thrombosierung. Häufig wurden Früh- und Fehlgeburten beobachtet.
Bei Ergotaminbehandlung (Gynergen) der Basedowschen Krankheit sind öfters Vergiftungserscheinungen, die sich als Anfangssymptome des Ergotismus gangraenosus äußerten, beobachtet worden.
Bezüglich der Ursachen des Ergotismus stellte Barger die Hypothese auf, daß der gangränöse Ergotismus als einfache Ergotoxinwirkung anzusehen sei, während der konvulsivische Ergotismus durch Zusammenwirken zweier Faktoren, und zwar eines positiven (Secale cornutum) und eines negativen (Vitamin-A-Karenz) Faktors, zustandekommt.
Charakteristisch für Mutterkorn ist eine bläuliche Verfärbung und später Nekrose des Hahnenkamms, eine Wirkung, die auch zur Wertbestimmung und zum Nachweis verwendet wird. Für die Auswertung kommen ferner die Blutdruckmethode und die Prüfung am isolierten Uterus in Frage. Eine zusammenfassende Darstellung der Wertbestimmung gibt u. a. Storm van Leeuwen.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Secale cornutum wird vielfach angewendet auf dem Gebiete der Gynäkologie, weiter wirkt es ausgezeichnet bei migräneartigen Kopfschmerzen und bei Störungen, die mit nekrotischen Zellzersetzungen einhergehen.
Secale cornutum als Frauenmittel: Hier kann es, in starker Dosis eingesetzt, als Spezifikum bei Uterushämorrhagien infolge von Erschlaffung der Gewebe, in erster Linie bei Blutungen post partum, aber auch bei Blutungen im Klimakterium und bei Menorhagien, bezeichnet werden. Zur Unterstützung der Behandlung kann man mit Arnica und Ferrum muriaticum wechseln. Recht häufig wird das Mittel in der Nachgeburtsperiode zur Lösung der Nachgeburt eingesetzt. Der Gebrauch als Wehenmittel zur Förderung der Geburt ist kontraindiziert, da es zur Verzögerung der Geburt und zum Absterben des Fötus kommen kann. Bei Myomen (hier neben Fluorcalcium) leistet Secale durch Abschnüren der zuführenden Gefäße gute Dienste. Nicht selten ist eine Ausstoßung des Myoms beobachtet worden. Gegen habituellen Abortus sind mit der Verordnung geringer Dosen von Secale gute Ergebnisse gezeitigt worden. So konnte eine Frühgeburt im 7. Monat durch Secale im Wechsel mit Hamamelis zum Stillstand gebracht werden. Seltener wird das Mittel bei Amenorrhöe genannt.
Bei häufig wiederkehrenden Blutungen anderer Organe infolge Schwäche bzw. Erkrankungen der Gefäße soll sich Secale, in geringeren Dosen gegeben, zuweilen bewährt haben, doch wird hier der Erfolg von verschiedener Seite bestritten.
Unter den Nervenstörungen und -erkrankungen, bei denen Secale indiziert erscheint, stehen Tabes dorsalis und Lähmungen der Beine infolge Rückenmarkschwäche an erster Stelle. So konnte Noack einen Patienten, der am Taumelgang mit Rückenmarkschwäche litt, in 14 Tagen mit D 4 heilen.
Weiter wird es bei Migräne, Neuralgien mit Taubheitsgefühl, Vertigo mit Kopfschmerzen, Doppelsehen, Psychosen, Hysterie gern gegeben. Es ist unser wichtigstes pflanzliches Kopfschmerzmittel. Auch bei Angina pectoris, Krämpfen, wie Chorea, Epilepsie und Eklampsie (u. U. im Wechsel mit Cuprum, Belladonna und Oleander) ist es angezeigt.
Sehr wichtig ist Secale auf dem Gebiet der Kreislaufstörungen und der damit im Zusammenhang stehenden Leiden, insbesondere bei Zellnekrose.
Ausgezeichnete Resultate wurden bei Gangraenasicca (Gangraena senilis und infolge von Diabetes) erzielt. Weitere Indikationen, die in dieses Gebiet fallen, sind: schlechte Durchblutung der unteren Extremitäten, Raynaudsche Krankheit, Kriebelgefühl, Anästhesien und Parästhesien der Arme und Beine bei Frauen. Secale „Teep“ D 3 wird als sehr wirksam gegen kalte Füße bezeichnet.
Ebenso ist Secale cornutum bei Arteriosklerose und Hypertonie ein bewährtes Mittel. Im Anfangsstadium des Katarakt wirkt Secale günstig und kann zum Teil eine Zurückbildung hervorrufen. Auch bei leichteren Fällen von Basedow ist es angezeigt und wird im Rudolf-Virchow-Krankenhause, Berlin, auch gern zur Vor- und Nachbehandlung von Basedowoperationen angewandt.
Schließlich wird Secale noch gelegentlich bei schwächenden Durchfällen, Cholera und Diabetes genannt.
Angewandter Pflanzenteil:
Verwendet wird von jeher das Sklerotium, die harte Dauerform des Pilzes, die zwischen den reifen Roggenkörnern an der Ähre sitzt. Das HAB. gibt als Ausgangsmaterial für die Bereitung der Tinktur das getrocknete Mutterkorn an (§ 4). Das „Teep“ wird aus den möglichst frisch gesammelten Sklerotien bereitet. Mutterkorn muß den Vorschriften des DAB. entsprechen.
Dosierung:
Übliche Dosis:
0,3-1 g des Pulvers bei postpuerperalen Blutungen viertelstündlich, sonst mehrmals täglich (Hager) (doch ist die Maximaldosis zu beachten);
0,2-0,5-1 g des Extractum Secalis cornuti fluidum (Trendelenburg);
0,12-0,5 g Extractum Secalis cornuti spissum (Brit.);
0,5-1,5 g (10-20-30 Tropfen) Tinctura Secalis cornuti in Zwischenräumen von einer Viertel- bis halben Stunde bei Metrorrhagie (Klemperer-Rost).
1-3 Tabletten „Teep“ Secalis cornuti alle 5-10 Minuten bei postpuerperalen atonischen Blutungen, sonst 1 Tablette drei- bis viermal täglich.
(Die „Teep“-Zubereitung ist auf 50% Pflanzensubstanz eingestellt, d. h. 1 Tablette enthält 0,125 g Secale cornutum, bei einem Alkaloidgehalt der Droge von 0,1% demnach 0,12 mg Gesamtalkaloide.)
In der Homöopathie:
Bei Blutungen Ø, 20-40 Tropfen in kurzen Abständen, sonst D 3-4, dreimal täglich 10 Tropfen.
Maximaldosis:
Secale cornutum: 1 g pro dosi (Belg., Dan., Norv., Nederl., internat. Vorschlag, Austr., Ital., Jap., Helv.);
3 g pro die (Belg., Dan., Norv., Nederl., internat. Vorschlag);
4 g (Helv.); 5 g (Austr., Ital., Jap.);
Extractum Secalis cornuti: 0,3 g pro dosi, 1 g pro die;
Extractum Secalis cornutum fluidum: 1 g pro dosi; 3 g pro die (internat. Vorschlag);
Extract. Secalis cornuti: 0,5 g pro dosi; 1,5 g pro die (internat. Vorschlag).
In der Veterinärmedizin:
15-25 g Secalis cornuti pro dosi bei Pferden
25-50 g Rindern
5-10 g Schafen und Ziegen
0,5-2 g Hunden
2-5 g Schweinen
0,2-1 g Katzen (Fröhner).
Rezeptpflichtig:
Secale cornutum, Extractum Secalis cornuti, Extractum Secalis cornuti fluidum, Tinctura Secalis cornuti.
Homöopathische Zubereitungen bis D 3 einschließlich.
Rezepte:
Bei postpuerperalen Blutungen (nach Trendelenburg):
Rp.:
Infus. Secalis cornuti 5 : 100 Sirup. Cinnamomi ad 150 M.d.s.: 1 Eßlöffel zweimal täglich. Rezepturpreis c. vitr. etwa 2.15 RM.
Bei Atonia uteri in der Nachgeburtsperiode (nach Klemperer-Rost):
Rp.:
Extr. Secalis cornuti 0,5 Sacchari Lactis 0,3 M.f. pulv. d. t. p. Nr. X S.: Stündlich 1 Pulver (bis zu 5 Pulvern zu geben). Rezepturpreis ad scat. etwa 1.54 RM.
Bei Gebärmutterblutungen (nach Klemperer-Rost):
Rp.:
Extr. Secalis cornuti Pulv. Secalis cornuti aa 2 M. f. pil. Nr. XXX, Consp. Lycop. D.s.: Zwei- bis dreistündlich 1 Pille. Rezepturpreis ad scat. etwa 1.94 RM.
Guttae stypticae (F. M. Germ.):
Rp.:
Extracti Cort. Hamamel. fluidi 25 Extracti Secalis corn. fluidi 5 D.s.: Dreimal täglich 20 Tropfen. Rezepturpreis c. vitr. pat. etwa 1.79 RM.
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Inhaltsverzeichnis: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Gerhard Madaus (+ 1942), Ausgabe Leipzig 1938
Auf Bilder / Photos des Lehrbuches wurde wegen mangelnder Aktualität / Qualität verzichtet. Ebenso ist die Einführung in dieser Online-Version nicht vorhanden. Sie können hier ausschließlich auf die Besprechung der einzelnen Pflanzen zurückgreifen. Die Rezepturen werden in das Kompendium im Laufe der Zeit eingearbeitet. Vorhandene Fotos: Rechte beim Verlag erfragbar.